Sehnsüchtig (German Edition)
Tochter, froh um die Ablenkung, die Aufgaben, die sich ihm stellen. Wickeln, anziehen, füttern. Er liebt seine Tochter über alles. Aber mehr als ein Kind kann er sich zurzeit einfach nicht vorstellen . Es ist doch so schon schwierig genug, alles unter einen Hut zu bringen; zuzusehen, dass weder Lilli noch Irina noch die Musik zu kurz kommt ...
Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.
Lilli sitzt im Hochstuhl und spielt mit ihrem Löffel als Irina etwas später in die Küche kommt, frisch geduscht, das Haar unter einem Handtuch verborgen, in ihrem blauen Morgenrock von gestern, sie sieht glücklich aus. „Guten Morgen, Bohne!“ Lilli quietscht und streckt ihre Hände nach ihrer Mutter aus. Irina lächelt, küsst sie, holt sie aus dem Hochstuhl und setzt sie sich auf die Hüfte. „Willst du noch einen Kaffee?“
„Nein“, sagt er und steht auf. „Du hast ja gar nichts gegessen“, sagt sie mit einem Blick auf seinen Teller und das unberührte Brötchen. „Hast du keinen Hunger?“
„Nicht wirklich.“ Er nimmt einen letzten Schluck Kaffee. „Guten Morgen überhaupt“, sagt sie, beugt sich über ihn, küsst ihn. Er legt flüchtig die Hand auf ihre Taille, streicht über Lillis Haar und geht Richtung Tür. „Ich geh mal duschen ... Danach muss ich ins Studio.“
Als er schon im Flur ist hält ihre Stimme ihn auf. „Eli?“
„Was?“
Sie erscheint im Türrahmen, Lilli auf der Hüfte, einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. „Ist etwas?“, will sie wissen. Er probiert ein Lächeln. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt um damit anzufangen. Ich muss erst einen klaren Kopf bekommen. „Nein“, sagt er dann nonchalant. „Warum?“, schiebt er nach. Sie sieht nicht richtig überzeugt aus. „Du bist irgendwie seltsam heute ...“ Er schüttelt den Kopf. „Ich bin nur müde ...“
„OK.“ Sie blickt ihn immer noch an als versuche sie zu ergründen, was in seinem Kopf vorgeht. Er dreht sich auf dem Absatz um und geht ins Bad. Sie blickt ihm nach bis die Tür hinter ihm ins Schloss fällt.
*
Der Winter hat die Stadt im Griff. Es scheint, als habe er pünktlich zum Weihnachtscountdown den Entschluss gefasst, seinem Namen alle Ehre zu machen. Seit da wirft er jede Nacht eine neue Schicht Schnee auf die Strassen. Das Autofahren und sogar ein paar simple Schritte auf dem Gehsteig werden zur Rutschpartie. Eliot nimmt Irinas Auto. Auf dem Weg zum Parkplatz fällt er zweimal beinahe hin. Chucks und Schnee vertragen sich nicht. Er betrachtet unwillig den Schneehaufen, unter dem irgendwo ein schwarzer Peugeot stecken muss. Ein paar Minuten später hat er das Auto freigeschaufelt, ist dafür nass und friert. Scheisswetter. Er hasst den Winter. Der Frühling ist seine Jahreszeit. Und der Herbst, goldene Oktobertage, an denen man noch im Strassencafé sitzen kann, mit einem Bier auf dem Tisch, Leute beobachten, wie sie durch die Strassen schlendern, einen Schreibblock auf dem Tisch. Im Herbst schreiben sich Songtexte wie von allein.
Seine Gedanken schweifen wieder zurück zu seiner Entdeckung im Bad gestern Nacht. Er schliesst die Autotür mit mehr Energie als nötig. Ich muss mit ihr reden. Bald.
Die Quartierstrassen hat er verlassen und das Fahren wird sofort angenehmer. Die Männer vom städtischen Betriebsdienst in der orangefarbenen Kleidung mit den Leuchtstreifen bekämpfen den Winter mit Salz in rauen Mengen. Die grösseren Strassen sind in Ordnung und so kommt er einigermassen zügig vorwärts. Er fährt an der Altstadt vorbei, dann über die grosse Brücke Richtung Osten, stadtauswärts. Kurz nach der Brücke passiert er einen wohlbekannten Block aus roten Backsteinen. Unwillkürlich schweift sein Blick zum Fenster im dritten Stock. Im Fenster brennt eine Schreibtischlampe. Dort steht Alys’ Schreibtisch mit dem iMac darauf, grösstmögliche Bildschirmgrösse, Grafikerin eben ...
Eliot schreibt sich eine mentale Notiz, sie später anzurufen, um die Details wegen dem Fotoshooting zu klären und einen Termin wegen den Entwürfen zu vereinbaren. Er hat vergessen, Irina zu fragen, wie der Stylingtermin mit Alys abgelaufen war, ob sie etwas gefunden haben für das Shooting. Alys wird bestimmt grossartig aussehen, Irina ist erstens klasse in ihrem Beruf und zweitens bringt Alys ja alle Voraussetzungen mit, die es braucht ... Er fragt sich einen Augenblick, wie sie wohl in einem Abendkleid aussehen würde, ein dunkles Violett zum Beispiel, mit einem tiefen Ausschnitt am Rücken, ihr Rücken zart,
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