Sehnsüchtig (German Edition)
die Haut sicher weich ... Hinter ihm hupt jemand. Die Ampel ist längst von rot auf grün gesprungen. Er drückt ärgerlich das Gaspedal durch und runzelt die Stirn. Wie komme ich denn da drauf?
Er kramt mit der freien Hand in seiner Umhängetasche auf dem Beifahrersitz, ertastet die CD, die er sucht. Schiebt sie ins Autoradio und dreht einen Song laut auf. Invaders must die. The Prodigy. Grossartig. Der Beat ist düster und aggressiv. Passt. Passt zum heutigen Tag und zur Stimmung. Er hat Lust auf eine Zigarette, aber in Irinas Auto raucht er nicht, wegen Lilli. Irina selbst hat nie geraucht. Sie hat aber nie versucht, es ihm auszureden oder ihn dafür abzubringen. Aber er raucht nicht in der Wohnung und nicht in Lillis Nähe.
Als er die Lautstärke noch ein wenig aufdrehen will, flammt etwas auf und blendet ihn. Ein Blechpolizist. Sofort nimmt er den Fuss vom Gas und blickt auf den Tacho. Natürlich war er zu schnell. Auch das noch. Verdammt! Hier ist der 60er wieder vorbei – und eigentlich ist er oft genug hier durchgefahren, um es zu wissen. Er wird Irina heute Abend erklären müssen, dass demnächst eine Busse auf ihren Namen ins Haus flattert – die natürlich er bezahlen wird. Fluchen hilft heute auch nicht.
Als er beim Studio ankommt, vertritt er sich erst auf dem Parkplatz die Füsse und raucht eine Zigarette, eine zweite und eine dritte,, bis er etwas ruhiger, etwas weniger abgelenkt, etwas weniger gereizt ist. Dann atmet er durch und schiebt sich das Haar nach hinten. Er hat sich heute nicht die Mühe gemacht, etwas damit anzufangen, wozu auch, und rückt sich die Brille auf der Nase zurecht. Er merkt, dass er sich darauf freut, die Gitarre umzuschnallen und einfach nur zu spielen, heute sind es nur Max und er und sie spielen seine Gitarre ein, spielen und alles andere vergessen.
Im gleichen Moment klingelt sein Handy.
*
„Hallo“, kommt knapp durch die Leitung. Sie richtet sich auf und runzelt die Stirn. Das ist Eliots Stimme, zweifellos, aber ihr fehlt der übliche gut gelaunte Unterton, das Lachen, das meistens darin mitschwingt.
„Hallo, da ist Alys ...“, sagt sie vorsichtig.
Eine Pause. „Das weiss ich“, sagt er und klingt immer noch nicht viel freundlicher. Er klingt gereizt. Und gestresst. Oder beides zusammen, vermutlich. Die zweite Sitzung kommt ihr in den Sinn, die Scherben der Kaffeetasse am Boden, wie er die Kaffeemaschine malträtiert hatte, wie angespannt sein Kiefer gewesen war ... Die Erinnerung zieht etwas in ihrem Magen zusammen. Du bist ganz schön launisch, offensichtlich, vielleicht sogar aufbrausend?
„Ich kann später noch einmal anrufen ...“, sagt sie unvermindert höflich.
Sie hört ihn Luft holen. „Nein, warum denn?“ Er bemüht sich jetzt offensichtlich, ruhiger zu klingen. „Weil du dich so anhörst, als wäre es nicht der richtige Zeitpunkt ...“, hält sie fest. „Ich ruf später noch einmal an, wann soll i ...“
„Nein, musst du nicht“, schneidet er ihr das Wort ab. „Wirklich nicht. Ich wollte dich sowieso selbst noch anrufen.“ Sie kritzelt einen Blitz neben die vielen Spiralen auf ihrem Notizblock. „OK“, macht sie dann.
„Der Termin für das Shooting ist jetzt definitiv, es ist der dritte Januar, ich maile dir die Details noch durch, ich hab nur gerade etwas viel um die Ohren.“ Ja, so klingst du auch. Du klingst als hättest du ein paar Stunden Schlaf nötig, ein wenig Ruhe und ein gutes Buch, oder vielleicht sogar ein paar Tage an der Wärme, an der Sonne, am Meer ... Sie verspürt einen kleinen Stich, etwas, das ihr bekannt vorkommt, manchmal hatte sie dasselbe gespürt, wenn sie in Janoschs übermüdetes Gesicht gesehen geblickt hatte, die Augenringe, die fahrigen Bewegungen, wenn er mal wieder hoffnungslos überarbeitet gewesen war ...
Was, jetzt machst du dir Sorgen um Eliot? Lass es sein.
„Der dritte also, das ist ein Dienstag, ich schreibe es mir gleich ein“. Sie öffnet ihren Kalender, um sich abzulenken. Fotoshooting mit Eliot , tippt sie mit einer Hand. Etwas mühsam, wie ein Linkshänder, der mit rechts zu schreiben versucht.
„Gut. Wie weit bist du mit den Entwürfen?“
„Ich bin fertig und habe sie noch angepasst nach unserem letzten Gespräch ...“ Das Gespräch, als er unangekündigt auf ihrer Türmatte gestanden war, das gemeinsame Kaffeetrinken auf ihrer Couch kommt ihr in den Sinn; und der Moment, als sie in der Küche gestanden hatte, durcheinander und etwas aufgewühlt ... Vorgestern. Es
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