Sehnsüchtig (German Edition)
ungewöhnlich chic unterwegs sind. Wo sind die Lederjacken geblieben, die Turnschuhe und die DocMartens? Stattdessen sieht sie Pailletten, weisse Hemden und Krawatten, kurze Kleider und viel freigelegte Haut, Winterblass, hier und da etwas Weihnachtspeck. Heute ist das ‚Jupiter’ der Zwischenstopp vor so mancher Silvesterparty. Trotzdem entdeckt sie einige bekannte Gesichter, hinter der Bar steht Patrizia, sie hebt einen fast komplett tätowierten Arm und winkt Alys zu.
Alys lächelt ihre ehemalige Arbeitskollegin an und winkt zurück. Das Jupiter war neben der ‚Hochschule der Künste’ und ihrer Wohnung lange sechs Jahre ihr zweites – oder drittes – Zuhause gewesen. Mit 21 hatte sie begonnen, hier dreimal pro Woche hinter der Bar zu arbeiten. Erst vor wenigen Monaten hatte sie damit aufgehört, um den Versuch zu wagen, ganz von der Arbeit als Grafikerin zu leben. Bis jetzt ist die Rechnung aufgegangen, manchmal besser, manchmal knapp. Das ‚Jupiter’ hatte ihr das Studium finanziert. Daneben jobbte sie als Kleiderverkäuferin bei ‚VeroModa’. Letzteres vermisst sie überhaupt nicht, aber das ‚Jupiter’ fehlt ihr manchmal. Es ist eine unaufgeregte kleine Bar mit vielen Stammgästen. An den Wänden hängen Schwarzweissfotos von Musikern und Filmstars, die längst das Zeitliche gesegnet habe. Sie kennt jedes einzelne. Dort ist Elvis, dort Marilyn, dort Clark Gable und Vivien Leigh, dort ist James Dean, gerade neben Johnny Cash. Eliot kommt ihr in den Sinn, zum x-ten Mal heute abend, sie fragt sich, ob er das Lokal kennt. Es würde ihm hier gefallen, es läuft nur Rock und Country. Sie blickt auf ihre Uhr. Noch zwei Stunden bis zum Konzert. Sie fühlt Vorfreude im Bauch kribbeln.
Frederic sitzt alleine an einem Tisch, sie sind alle verschrammt und sehen aus, als kämen sie direkt aus dem Brockenhaus. Er scheint wie immer etwas verloren. Etwas an ihm ist anders. Er hat sein Haar geschnitten, die Justin-Bieber-Frisur ist einem kürzeren Schnitt gewichen, verwuschelt, aber auf lässige Art, einige Strähnen hängen ihm neckisch ins Gesicht. Er scheint entdeckt zu haben, dass es so etwas wie Wachs oder Gel zu kaufen gibt. Ausserdem trägt er gut geschnittene Jeans, ein dunkelblaues Hemd. Und sie glaubt es kaum: die biederen Strassentreter sind einem Paar Chucks gewichen. Junge, was ist denn mit dir passiert? Sie fragt sich, ob er Irina über den Weg gelaufen ist? Wer oder was immer es war, er sieht richtig gut aus.
„Hey!“ Er blickt auf. „Hallo“. Er entdeckt Mascha hinter ihr und seine Augen leuchten auf. Trotzdem besinnt er sich auf die Höflichkeitsregeln, küsst Alys auf die Wange und fragt, wie es ihr geht. „Gut, und dir? Du siehst anders aus …“ Sie macht eine Geste in seine Richtung. Er lächelt unsicher. „Das war meine kleine Schwester, sie hat mich zwischen Weihnachten und Neujahr durch die Stadt geschleift und meinen Dreizehnten auf den Putz gehauen …“ Alys gratuliert seiner kleinen Schwester im Geist zu dieser Idee. Gut gemacht.
„Du siehst super aus“, versichert Alys ihm. „Danke.“ Sein Lächeln ist jetzt selbstbewusster. „Ich hab Annika gesagt, dass heute ein wichtiger Abend ist, das hat sie auf die Idee gebracht ...“ Sein Blick schweift zu Mascha und er bricht ab, als hätte er zuviel gesag t. Alys kann seine Hand auf Maschas Rücken zittern sehen als sie ihn umarmt. Kurz, freundschaftlich. Er tut ihr leid. An seinen Gefühlen für Mascha hat sich wohl nichts geändert. Mascha scheint davon nichts mitzukriegen, oder sie tut einfach so. Sie setzt sich und erzählt mit munterer Stimme ein paar Episoden aus ihren Weihnachtsferien.
Frederics Blick klebt an ihrem rot geschminkten Mund, dann wieder strengt er sich offensichtlich an, sich nicht in ihren Ausschnitt zu verlieren. Alys lächelt versonnen. Auch sie kann kaum wegschauen, dabei kennt sie Mascha und ihre beneidenswerten Kurven lange genug. Aber der Ausschnitt ist grosszügig und lässt jede Menge schöner Haut erhaschen.
„Ich hol was zu trinken, was wollt ihr denn? Champagner? Oder ist es dafür noch zu früh?“ Frederic entscheidet sich für ein weiteres Bier, Mascha für ‚gespritzten Weisswein süss’. Alys beschliesst, es ihr gleichzutun. Sie geht zur Bar um zu bestellen. Bei Patrizia kommt sie für einmal gleich an die Reihe und sie tauschen ein bisschen Smalltalk, wie geht es dir, was machst du so ? Patrizia studiert Theaterwissenschaften. Alys erwähnt, dass es ihr ganz gut laufe mit dem
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