Sehnsüchtig (German Edition)
eine eigene Familie lange kein Thema gewesen war. Beide intellektuell veranlagt, aber ohne Interesse an Musik. Die Liebe zur Musik hat er von seinem Onkel, Johannes Wagner, der sich lässig ‚John’ nennt und der ein heimlicher Held von Eliots Kindheit gewesen war. Onkel John ist wahrscheinlich das berühmte schwarze Schaf, über das jede Familie verfügt. John ist Automechaniker, Hobbymusiker, Lebenskünstler. Er hat eine mässig erfolgreiche Garage für Oldtimer, kümmert sich mit Hingabe um Eliots Wagen, fährt einen alten Amerikaner, trinkt gerne einen über den Durst und wechselt seine Freundinnen etwas häufiger als für einen Mann Mitte 60 schicklich wäre. Sie sind meistens blondiert und in Eliots Alter.
Eliot drückt die Zigarette aus und schliesst das Küchenfenster. Seine Mutter scheint immer noch auf eine Antwort zu warten. Er verschränkt die Hände vor der Brust. „Wir haben uns gestritten“, sagt er knapp. Celia hebt eine sorgfältig gezupfte Augenbraue. Wie immer wagt es keine einzige Strähne, sich aus dem Haarknoten zu lösen und ihr ins Gesicht zu fallen. Früher war es dunkel wie seins. Eigentlich immer noch, nur kommt die Farbe mittlerweile aus der Tube.
„Aha. Und warum?“
Eliot lässt sich schwer gegen die Küchenwand sinken. „Mama“, macht er ungeduldig. Sie blickt ihn immer noch fest an. „Ich will nicht mit dir darüber reden. Mal abgesehen davon, dass es dich eigentlich auch nichts angeht.“ Kurz sieht sie verletzt aus, er sieht es in den Augen aufblitzen, aber dann hat sie ihr Gesicht wieder unter Kontrolle.
„Ich glaube, es geht mich etwas an, wenn ich sehe, dass Irina unglücklich ist. Und wenn ihr euch streitet, bekommt auch Lilli das mit. Meinst du, das ist gut für sie?“ Sie klingt jetzt angriffig und Eliot fühlt sich wütend werden. Celia und er sind gut im Streiten. Kein Wunder, hat er doch sein Temperament von ihr. Sein Vater ist ruhiger. Beherrschter.
„Sei nicht so dramatisch. Es ist keine Beziehungskrise, auch wenn du es anscheinend dazu machen willst.“
Sie hebt das Kinn ein wenig, noch eine ihrer kampflustigen Gesten. „Wir haben zurzeit beide alle Hände voll zu tun, da ist es ganz normal, dass wir uns mal nicht einig sind“, fügt er hinzu, versucht ruhiger zu klingen. Es ist Heiligabend und heute Abend steht die Familienfeier auf dem Plan. Nicht der ideale Zeitpunkt, um sich mit seiner Mutter zu streiten. Auch wenn es nichts Neues wäre. Sie schaffen es eigentlich jedes Jahr.
„Irina sagt, dass du die letzten Wochen kaum zuhause warst; dass du kaum Zeit für sie und die Kleine hast, oder sie dir nicht nimmst.“ Wie ihr euch früher nicht für mich, liegt ihm auf der Zunge, aber er verbeisst sich den Satz.
„Ihr habt also über mich gesprochen.“ Natürlich. Noch etwas, das er hasst. Weil er immer den Kürzeren zieht. Jedesmal. Seine Eltern sind immer auf Irinas Seite. Ausnahmslos. Vielleicht, weil Irina keine Eltern hat beziehungsweise kaum mehr mit ihrer Adoptivmutter spricht. Er verdrängt den Gedanken an Irinas komplizierte Familiengeschichte und konzentriert sich wieder auf seine eigene Mutter. „Natürlich sprechen wir über dich. Und über die Kleine. Ist es etwa verboten, dass dein Vater und ich ein Interesse daran haben, wie es Euch geht?“
Er streicht sich das Haar nach hinten, eine fahrige Bewegung. „Nein, natürlich nicht.“
„Du solltest dir mehr Zeit für die beiden nehmen, Eliot. Und dich nicht mit Irina streiten. Das lohnt sich nicht. Die Musik läuft dir nicht davon.“
Du solltest. Du solltest. Zwei Worte, die er aus dem Mund seiner Mutter nur schlecht erträgt. Einen Augenblick messen sich ihre Blicke, aber er beschliesst, kein Öl mehr ins Feuer zu giessen. Das lohnt sich nicht. Er stösst sich von der Küchenwand ab und geht an ihr vorbei in den Flur. „Darling, ich geh spazieren. Kommst du mit?“ ruft er Richtung Wohnzimmer. „Ein andermal. Ich bin gerade dabei, deinen Vater zu schlagen“. Irinas Stimme klingt entspannter als heute morgen. Gut so. „Viel Spass“, ruft er zurück, greift nach der Jacke und seinen Schuhen. Einfach raus hier.
*
Alys reibt sich den Bauch, voll mit Filet im Teig, Salat und zwei Gläsern Wein. Ihre Mutter ist eine gute Köchin. Ein Talent, das Alys nicht geerbt hat. „Das war köstlich“, sagt sie. Ihre Mutter lächelt eines ihrer raren Lächeln. Sogar ihr Lächeln ist irgendwie ernst. Georg schenkt sich ein weiteres Glas Wein ein. Seine Augen schillern schon ein
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