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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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einmal an, den Sozialismus rauszuredigieren …
    GW     … am Ende stand da nur noch »sozialistische Alternative«. Wir hätten aber »basisdemokratische Alternative« schreiben müssen. Sebastian Pflugbeil 31 vom Neuen Forum sagte: »Sozialismus kommt nicht in Frage.« Wir sagten: »Na gut, aber irgendwie müssen wir uns von den anderen unterscheiden.« Wir haben lange darüber diskutiert, es blieb dann bei »sozialistische Alternative«. Man hätte das anders formulieren, deutlicher machen müssen, dass man mit DDR gar nichts mehr im Sinn hatte. Das Schlimmste aber war, dass sich sofort Egon Krenz 32 dem Aufruf anschloss.
    CW     Das war furchtbar!
    JS     Meint ihr, dass ihr euch damals vielleicht weit von dem, was das Volk wollte, entfernt hattet? Hättet ihr mich gefragt, ich hätte euch gesagt, dass der Aufruf Quatsch ist.
    CW     Na gut, immerhin haben noch mehr als eine Million Menschen unterschrieben. Was hat das Volk gedacht: Gehen wir zur D-Mark? Das hätte ich nie formulieren können.
    JS     Das hättet ihr ja auch nicht formulieren müssen. Intellektuelle spielten in der DDR immer eine sehr große Rolle, wurden ausgebuht oder gelobt wie in der Sowjetunion. Die Bevölkerung achtete und verehrte besonders die Schriftsteller als moralische Instanzen, was die sagten, war bedeutsam, danach richtete sie sich. Das ist jetzt anders. Ich kann mir vorstellen, dass das für euch manchmal schwierig war und ist, ihr habt auch eine Rolle verloren.
    CW     Damit habe ich keine Schwierigkeiten. Du hast nicht mitbekommen können, unter welcher furchtbaren Anspannung ich die ganzen Jahre in der DDR stand. Das war keine normale Situation. Dauernd hatte ich das Gefühl, im Grunde bist du jetzt gefordert. Manchmal konnte ich aber nicht reagieren, manchmal wollte ich nicht, und manchmal hatte ich auch Angst. Dass dieser Druck von mir abfiel, war wirklich eine Erleichterung. Heute herrscht einfach die totale Leere. Das wird sich vielleicht auch wieder ändern.
    GW     Die erste große Demonstration, bei der die »Wir sind ein Volk!«-Schilder auftauchten, wurde mächtig von bayerischem Bier gesponsert. In Dresden.
    JS     Auch wenn das gesponsert gewesen sein sollte. Das war damals der Wille. Ich kann mich erinnern, wie ich selbst der D-Mark entgegenfieberte. Mit meinem damaligen Freund aus Österreich wollte ich Interrail machen, davon hatte ich seit Jahren geträumt – mit dem Zug durch ganz Europa zu reisen. Ich dachte, hoffentlich kommt bald die Währungsunion, sonst habe ich kein Geld.
    GW      (lacht) Also gehörst du auch zu diesem schlimmen Volk!
    JS     Ja. Doch.
    CW     Wenn man die Verhältnisse zuvor betrachtet, ist das verständlich.
    JS     Am Tag der Währungsunion machte ich bei der Zeitung vom Neuen Forum Die Andere 33 ein Praktikum. In der Nähe der Französischen Straße, in der die Redaktion saß, gab es einen Lebensmittelladen, da wurden wie überall die Ostprodukte aussortiert und zum großen Teil weggeworfen. Am nächsten Morgen standen dort Pyramiden von Kellogg’s-Cornflakes-Packungen im Schaufenster. Das war surreal. Der Konsum, das Materielle wirkte auf mich zu Beginn sehr stark. Das Alte, die DDR war für mich damals zu Ende. Abgehakt. Ihr habt sie von Anfang an miterlebt, mitaufgebaut, mitgelitten. Ich habe die DDR wie viele meiner Generation nur noch in ihrem Ableben registriert.
    CW     Nun mach einmal einen Sprung über die acht Jahre von der Währungsunion bis heute. Siehst du irgendwo in dieser jetzigen Welt oder Gesellschaft noch einen Ansatz, der vom materiellen Weg wegführt hin zu anderen Zielen?
    JS     Im Augenblick sehe ich das nicht. Worauf sich viele noch einigen können, ist Erfolg, eine bestimmte Schicht zumindest. Ich glaube, in meiner Generation sind Anerkennung und Erfolg der kleinste gemeinsame Nenner. Sie zeigen dir, dass du da bist, geben dir das Gefühl, jemand nimmt dich wahr.
    GW     Bekommst du auf deine Artikel eigentlich Leserecho?
    JS     Ja, viele Briefe. Man merkt, dass man gelesen wird. Ihr wart in meinem Alter ja schon sehr mit Politik und Partei beschäftigt.
    CW     Das war extrem.
    JS     Wie seht ihr meine Generation, die Mitte Zwanzigjährigen, heute?
    CW     Außer euch Enkeln kenne ich niemanden näher aus der jungen Generation, deshalb traue ich mich nicht richtig, mich dazu zu äußern.
    GW     Wie erklärst du dir diese Massen bei der Love-Parade, was ist das?
    CW

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