Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
sofort die Nummer und hatte sie auch gleich dran. »Hier ist Christa«, sagte ich. Da kam dieses typische »Hach, Christa, hach«. Und dann legte sie auf. Ich wählte gleich noch einmal. Aber sie nahm nicht mehr ab. Ich bin mir sicher, dass Carola erzählt, dass wir sie verleumden, dass Thomas unschuldig ist. Er hatte mir gesagt, Carola habe all diese Enttäuschungen nur sehr schwer ertragen können. »Welche Enttäuschungen meinst du denn?«, fragte ich.
GW Sie muss es eigentlich auch gewusst haben. Thomas hat in seinen Berichten ganze Romane über uns geschrieben. Auch persönliche Dinge über die Töchter.
JS Bei ihm hattest du auf den ersten Blick kein negatives Gefühl?
GW Nein.
CW Aber wir haben es für möglich gehalten, aus seiner Entwicklung heraus. Thomas war als Kind mit seinen Großeltern nach dem griechischen Bürgerkrieg und der Niederschlagung der Demokratischen Armee Griechenlands in die DDR geflohen. Seine Eltern waren Kommunisten. Thomas wuchs zum Teil in einem DDR -Kinderheim auf. Dann studierte er Journalistik in Leipzig. Ich fürchte, da ging das mit der Stasi schon los. Er bangte auch jedes Mal darum, ob er die Genehmigung bekäme, wieder einmal nach Griechenland zu reisen. Oder er hat so getan. Und sicher haben ihn die griechischen Kommunisten auch beobachtet.
GW Wir haben uns ein bisschen dagegen gewehrt zu glauben, dass er so etwas macht.
CW Wir haben gedacht, mit uns macht er das nicht. Wir sind doch so eng befreundet.
GW Er fuhr öfter auf lange Lesereisen, war vier bis sechs Wochen weg. Wir fragten uns, was ist das eigentlich? Wir ahnten, dass sie ihn in der Mangel hatten, bezogen das aber nicht auf uns. Das wollten wir nicht sehen. Er hatte immer etwas Undefinierbares, Undurchsichtiges. Wir haben das auf seine Kindheit zurückgeführt.
CW Zu Recht!
JS Wie habt ihr ihn eigentlich kennengelernt?
GW Bei den Schriftstellern Fred und Maxi Wander 28 zu Hause. Wir waren bei ihnen zu Besuch, und Thomas war auch da. Er hat uns dann 1975 geholfen, das Haus in Neu-Meteln zu finden. Das hat er uns vermittelt. Er wohnte ja ganz in der Nähe.
CW (zu JS ) Übrigens, hast du heute in der Berliner Zeitung gesehen, es soll ein Buch herauskommen, in dem die Verbindung westdeutscher Journalisten mit dem BND thematisiert wird?
GW In den USA kann man Akten kaufen. Ich habe mal zu Günter Grass gesagt, warum verlangen die Westdeutschen ihre Akten nicht? Er sagte, dann gäbe es noch mehr Enttäuschungen, und er würde noch mehr Freunde verlieren. Und der Nachrichtendienst gibt sie auch nicht heraus.
JS Wart ihr sehr enttäuscht von Thomas?
GW Es gab vorher Gerüchte.
CW Die Frau bei der Gauck-Behörde, 1992 war ich das erste Mal zwei, drei Tage allein dort …
GW … wir kamen ziemlich schnell dran. Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Ich wurde von Schriftstellerkollegen beschuldigt … Es gab einen IM Hölderlin …
CW Das war eine solche Schweinerei!
GW Die haben gedacht, na, der Wolf hat doch mal über Hölderlin geschrieben 29 . Das wird der sein. Sie verbreiteten das im PEN -Club.
JS Was!?
GW Ohne dass sie etwas in der Hand gehabt hätten. Jemand anderes hatte sich den Decknamen Hölderlin gegeben. Daraufhin habe ich Briefe geschrieben, und wir bekamen schnell Akteneinsicht.
CW Da war aber auch schon klar, dass Gerd nicht IM Hölderlin ist. Am ersten Nachmittag bei der Akteneinsicht in der Gauck-Behörde sagte die Mitarbeiterin zu mir: »Morgen kommen die nächsten Akten. Das wird Sie treffen, da werden Sie einige Enttäuschungen erleben.« Sie kannte alles, sie musste alles vorher lesen und die Namen schwärzen.
GW Ab 1980 sind unsere Akten weg, nur die Berichte von Thomas und die Karteikarten sind bis 1989 da. Die Berichte von Thomas wurden irgendwo anders herausgezogen. Die eigentliche Akte ist weg.
JS Habt ihr nur Berichte von Thomas?
CW Nein, die waren in den Akten mit drin. Wir haben viele Kopien da, einen ganzen Koffer voll.
GW Eigentlich müssten wir noch einmal zur Gauck-Behörde gehen. Sie haben die Abhörprotokolle unserer Telefongespräche gefunden.
CW Wir waren noch einmal einen Vormittag lang dort, danach hat es uns so zum Halse herausgehangen, dass wir nicht mehr hingegangen sind. Auf der Karteikarte gab es eine genaue Aufstellung von dem, was wir in all den
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