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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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Jahren gemacht haben, welche Lesungen, wann, wo, wie. Alles schön aufgelistet.
    JS     Als ihr die Berichte von Thomas gelesen habt, wart ihr schockiert oder habt ihr das geahnt?
    CW     Sowohl als auch. Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass er so sehr über die Töchter berichtet. Lange Seiten über deine Mutter Annette.
    GW     Dinge, die keinen etwas angehen.
    JS     Thomas und Carola haben euch damals bei sich aufgenommen, als das Haus in Neu-Meteln abgebrannt war.
    CW     Das waren wirklich enge Freunde.
    GW     Als die Großmutter von Thomas starb, hielt ich noch die Trauerrede.
    JS     Aber das ist doch totaler Verrat!
    CW     Nein, das ist Schizophrenie.
    JS     Meinst du, er ist krank?
    CW     Nein. Das ist die Krankheit dieses Jahrhunderts.
    JS     Für mich ist das Verrat!
    CW     Gut, bleib dabei. Ich kann das nicht so sehen.
    GW     Das ist zu simpel.
    JS     Als Kind habe ich in den Sommerferien bei Thomas und Carola gespielt, in der Küche haben wir griechisch getanzt. Ihr wart jahrelang mit ihm befreundet. Und dann erfahrt ihr plötzlich, Thomas hat alles der Stasi berichtet. Er hätte es euch von sich aus nie erzählt. Ich würde, glaube ich, auch sagen, das ist Schizophrenie. Einfach aus Schutz.
    CW     Hm. (Pause) Andererseits haben wir ihm auch viel zu verdanken, die Griechenlandreise 1980 , bei der ich für Kassandra recherchierte, er uns in sein Heimatdorf einlud und wir bei ihm wohnten.
    JS     Ich stelle es mir sehr schmerzhaft vor zu erfahren, dass ein Mensch, von dem man denkt, es ist ein enger Freund, Spitzel-Berichte über einen schreibt.
    CW     Es könnte nie wieder sein, wie es einmal war. Das ist völlig klar.
    GW     Man kann uns auch vorwerfen, dass wir es viel früher hätten merken müssen. Es gab ja Anzeichen, die wir nicht sehen wollten.
    CW     Als wir ihn kennenlernten, war Thomas ein ganz treuer Parteisoldat. Wir können uns zugutehalten, dass er unter unserem Einfluss durchaus ins Wanken geriet. Er bekam Zweifel, die waren echt. Das hat dazu beigetragen, dass wir dachten, er habe sich gelöst.
    GW     Es gibt ganz schwere Vorwürfe gegen ihn, dass er über Leute berichtet hat, die dann ins Gefängnis gekommen sind, in den fünfziger Jahren.
    CW     Das stimmt wahrscheinlich.
    GW     Die Berichte über uns sind nicht unbedingt diffamierend, er hat einfach alles aufgeschrieben, was wir so gesagt haben. Entweder hat er Tonbänder mitlaufen lassen oder abends sofort alles notiert.
    CW     Er hat treulich berichtet: Die sind auf Abwegen, aber trotzdem gute Genossen. Man solle uns nicht so schwer bestrafen.
    JS     Wart ihr denn damals noch gute Genossen?
    CW     Nein, wohl nicht!
    JS     Wart ihr am Ende froh, dass es vorbei war?
    CW     Dass was vorbei war?
    JS     Die DDR !
    CW     Dass sie vorbei war, so wie sie war, ja, darüber waren wir froh. Das ging nicht mehr. Aber damals hatten wir noch, heute würde ich sagen, die Illusion eines möglichen dritten Weges.
    GW     In der Übergangszeit kurz nach dem Mauerfall gab es den Aufruf »Für unser Land« 30 , der sich gegen eine Vereinnahmung durch die Bundesrepublik und für eine eigenständige DDR aussprach. Die Leute vom Neuen Forum hatten uns dazu angestiftet. Sie kehrten von einer Reise nach Bonn zurück, sie waren dort bei Helmut Kohl eingeladen gewesen. Sie sagten: Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das dort für Leute sind, wie der Kohl uns behandelt hat, von oben herab.
    CW     Damals sagte ich: Ist ja schön, wenn ihr denkt, dass ihr so einen Aufruf initiieren müsst, aber es ist zu spät. Ich mach da nicht mit! Und dann fuhren wir nach Leipzig. Ich hatte dort eine Lesung vor Studenten, drei Hörsäle waren voll. Ich erzählte, was ich seit dem Mauerfall gemacht hatte, und mein letzter Satz war: »Die Revolution ist in Leipzig in guten Händen!« Danach kamen die Studenten zu mir: »Frau Wolf, wissen Sie, was los ist? Am letzten Montag gab es auf der Demonstration auf einmal die Losung: Wir sind ein Volk!« Da erzählte ich ihnen von diesem Aufruf »Für unser Land« und dass ich fände, er käme zu spät. Die Studenten forderten mich auf: Machen Sie doch mit. Das ist so wichtig! Als wir wieder in Berlin waren, rief ich Volker Braun an und sagte: »Gut, ich mache doch mit!« Später bekam ich den Textentwurf für den Aufruf. Darin stand sieben Mal das Wort Sozialismus. Und so fing ich auf

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