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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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ähnlich.
    JS     Vielleicht war er es ja.
    GW     Es ist ein großes Wunder, dass bei der Protest-Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4 . November 1989 nicht eine Scheibe zersprungen ist.
    CW     Markus Wol f 90 , der frühere Chef der Stasi-Auslandsspionage, rief mich vor dem 4 . November an und sagte, er sei als Redner zur Demonstration eingeladen worden. Er fragte mich, ob ich hingehe. Dann würde er auch kommen. Wolf sagte deutlich, dass er ziemliche Angst davor habe, aber dass er sich der Bevölkerung stellen wolle. Und dass er alles, was in seiner Macht stehe, dafür tun werde, dass es keinerlei Gewalt geben werde. Da war er aber schon Jahre nicht mehr im Ministerium für Staatssicherheit.
    GW     Er hatte eine Riesenangst davor, dass eine Pistole losgeht. Diese Funktionäre hatten vor ihrer eigenen Macht eine Riesenangst.
    CW     In jener Zeit riefen andauernd Menschen bei uns an. Einmal hatte ich einen Mann am Telefon, der meinte, er sei ein Nachbar von uns aus der Pankower Crusemarkstraße. Seine Frau arbeite in einer Botschaft und habe erfahren, dass in Schönefeld ein Flugzeug stehe, das gerade mit Akten beladen werde, die nach Rumänien ausgeflogen werden sollten. Er fragte mich, ob ich nicht Beziehungen zu Markus Wolf hätte, um das zu verhindern. Ich hatte tatsächlich eine Nummer von ihm, er hatte sie mir bei dem vorherigen Anruf gegeben. Ich rief also dort an. Seine Sekretärin war dran. Sie sagte, Markus Wolf sitze gerade in einer Parteiversammlung. Sie fragte mich, woher sie wissen solle, ob ich wirklich Christa Wolf sei. Ich sagte: »Das müssen Sie mir eben glauben. Eine Garantie kann ich Ihnen nicht geben!« Ich erzählte ihr die Geschichte. Nach zwei Stunden rief sie zurück, Markus Wolf habe sich informiert, es gebe kein Flugzeug, es würden keine Akten ausgeflogen.
    JS     Hattet ihr zu DDR -Zeiten mit Markus Wolf zu tun?
    CW     Nein. Wir haben ihn zum ersten Mal 1987 bei der Beerdigung seines Bruders Konrad Wolf gesehen. Dort trat er das erste Mal öffentlich auf. Doch im Mai 1989 hatte ich noch einmal mit ihm zu tun. Als er sein Buch Die Troika schrieb, rief er mich an und fragte, ob ich bereit wäre, zu ihm zu kommen und ihm das, was ich über seinen Bruder Konny Wolf wüsste, zu erzählen. Ich ging also zu ihm. Er wohnte im Nikolaiviertel. Seine Frau empfing mich, und da war noch ein Genosse, der Wolf fuhr und für ihn einkaufte. Ich sagte Markus Wolf, dass ich Konny als eine tragische Figur einschätze. Wolf sagte, so sehe er ihn auch. Die beiden Brüder hatten in sehr engem Kontakt zueinander gestanden.
    Als es 1976 wirklich lästig wurde, wie sehr wir von der Staatssicherheit beobachtet wurden, deren Autos immer vor unserer Tür standen, da hatte uns Konny Wolf einmal eingeladen, um uns seinen neuesten Film Mama, ich lebe zu zeigen. Ich verließ mit ihm als Letzte die Vorführung und sagte: »Die gehen jetzt so auf uns los, dass ich nicht weiß, wo das endet, ob wir hier bleiben können und wollen.« Es war klar, Konny würde es Markus erzählen. Später sagte Markus Wolf, er habe sich darum gekümmert. Dann hörte es auf.
    GW     Zuvor war die Stasi immer hinter uns hergefahren. Ihre Wagen hatten auf dem leeren Parkplatz gegenüber von unserem Haus in der Friedrichstraße gestanden. Die wollten, dass man sie bemerkt.
    CW     Am Anfang hatte ich das gar nicht so ernst genommen und noch gesagt: »Ich gehe rüber und bringe denen eine Kanne Kaffee.« Später hatte ich den Nerv dazu nicht mehr. Tinka hat sehr darunter gelitten. Sie wohnte noch bei uns, studierte und bekam so eine blöde Lungenentzündung. Das war kein Zufall.
    JS     Im Nachhinein ist es kaum noch vorstellbar, was das für ein Leben war. Die Überwachung war fast alltäglich geworden. Ich kann mich an eine richtige Verfolgungsfahrt erinnern. Wir hatten die Poppes 91 am Kollwitzplatz besucht, die damals in der Opposition sehr aktiv waren. Das muss Mitte der achtziger Jahre gewesen sein. Als wir wieder nach Hause fuhren, folgte uns ein Auto. Honza fuhr dann Wendemanöver, aber der Wagen folgte uns trotzdem. Am Ende schafften wir es, sie abzuhängen. Ich fand das aufregend und ein wenig gruselig. Oder bei meinem Vater: Einmal kamen wir aus dem Urlaub zurück, und die Möbel waren mit Handabdrücken übersät. Es war klar, dass jemand in der Wohnung gewesen war.
    CW     Als ich im Mai 1989 bei Markus Wolf war, fragte ich ihn auch noch, ob er nicht sehe, was in der DDR los sei.

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