Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
wurden, weil sie sich in einem Brief an Honecker für Stefan Heym 95 eingesetzt hatten. Sie hatten geschrieben, dass kritische Schriftsteller immer häufiger vom Staat diffamiert und kriminalisiert werden würden.
GW Von Hermann Kant 96 , der damals Präsident des DDR -Schriftstellerverbandes war, wurde 1979 eine Rede im Neuen Deutschland abgedruckt, die er auf einer Vorstandssitzung des Schriftstellerverbandes gehalten hatte. Darin griff er die neun Schriftsteller an.
CW Nun sollte es noch eine Mitgliederversammlung des Schriftstellerverbandes geben. Kurz zuvor sagte Stephan Hermlin zu uns: »Kant war bei mir. Die Sache hat sich geändert, sie sollen doch nicht ausgeschlossen, sondern nur scharf kritisiert werden.« Etwas später hieß es dann: Jetzt ist doch wieder alles anders. Sie sollen ausgeschlossen werden. Hermlin hielt auf der Verbandssitzung eine gute Rede, Kant sprach dagegen. Er sagte, die beschuldigten Autoren seien gegen die DDR und die SED und deren Kulturpolitik in »verleumderischer Weise aufgetreten«.
In der Pause gab es ein dolles Buffet. Viele Stasi-Leute waren da, junge Männer, die in den Gängen warteten und mich bis zur Toilette begleiteten. Das habe ich Hermann Kant übelgenommen, und das kann ich ihm bis heute nicht verzeihen. Er wusste genau, was für ein Mist das war, und votierte trotzdem heftig für den Ausschluss der Kollegen.
In solchen Situationen konnte man sich auf Günter de Bruyn absolut verlassen. Wir hatten uns vor dieser Versammlung getroffen und festgelegt, wie wir uns dort verhalten würden. Als dann abgestimmt wurde, stimmten wir gegen den Ausschluss. Danach wurden nicht einmal die Stimmen ausgezählt. Günter und ich meldeten uns und forderten, dass sie ausgezählt werden. Die anderen sagten: »Kollegen, es war eine so deutliche Überzahl für den Ausschluss. Es ist erledigt.«
JS Gab es nie ein klärendes Gespräch mit ihm?
CW Nein, so ein richtiges Gespräch darüber gab es nie.
GW Während der DDR -Zeit haben wir nie unsere verschiedenen Meinungen diskutiert.
CW Es ging immer nur darum, dagegenzuhalten, darin waren wir uns einig.
GW Die Rede, die de Bruyn 1981 beim Friedenstreffen hielt, war sehr anständig. Dort trat er für die pazifistische Szene in der DDR ein. Das hätten wir in der Art vielleicht gar nicht gemacht. Aber nach dieser Veranstaltung im Cecilienhof 1990 , bei der de Bruyn am Tisch von Frank Schirrmacher saß, sahen wir uns nicht mehr oft. Wir hatten kein Bedürfnis mehr. Mit seiner Frau Rosemarie Zeplin blieb der Kontakt bestehen.
CW Wir sind nicht böse aufeinander oder Feinde. Wir reden am Telefon, gratulieren uns auch gegenseitig zum Geburtstag.
JS Eure Freundschaften sind immer auch politisch?
CW Politik war immer dabei und Zuneigung.
JS Ist das heute noch so?
GW Wir sind eng mit Volker Braun und seiner Frau befreundet, das kannst du nie trennen, was wir machen und was sie machen – weltanschaulich.
CW Und wir haben uns enger mit ein paar Westlern angefreundet: mit Maria Sommer 97 , den Jannings 98 oder Ulla Berkéwicz 99 . Auch mit Günter Grass hat die Freundschaft erst nach der Wende begonnen.
JS Von euren früheren Freunden sind viele in den Westen gegangen.
GW Ja. Wir haben nie über diejenigen geschimpft, die in den Westen gegangen sind. Aber einige von ihnen nannten nun alle, die in der DDR geblieben waren, »Gehirnamputierte«. Es ging auch um Existentielles, sie hatten es teilweise materiell schwerer als wir. Sie waren nach der Wende gegen alles, gegen einen gemeinsamen Ost-West- PEN -Club, und viele von ihnen traten aus der Akademie der Künste aus.
JS Waren das persönliche Auseinandersetzungen?
CW Nein, das fand immer öffentlich statt, über die Medien.
JS Ich finde es interessant, dass in euren Freundschaften Politik eine so bedeutende Rolle spielt. Ich kenne das aus meiner Generation in der Form nicht.
GW Weil ihr keine politischen Meinungen mehr habt!
JS Das stimmt nicht. Ihr hattet von vornherein viel stärkere politische Überzeugungen und seid dadurch gegenüber anderen Meinungen auch nicht sehr tolerant.
CW Das stimmt!
JS Könntet ihr mit jemandem befreundet sein, den ihr zwar menschlich sympathisch findet, der aber politisch ganz anders denkt als ihr?
CW Da müsste man direkt ein Beispiel nennen.
JS Ihr habt
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