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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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einmal erzählt, dass ihr euch mit dem Historiker Michael Wolffsohn 100 ein paarmal getroffen und euch ganz gut verstanden habt. Er vertritt andere politische Meinungen als ihr, er hält zum Beispiel Folter im »Krieg gegen den Terror« für legitim.
    CW     Ja, er hat mir jetzt wieder geschrieben … aber eine nahe Freundschaft könnte wohl nicht entstehen. Mit Ulla Berkéwicz ging das dagegen auf Anhieb.
    GW     Na gut, da standen auch keine weltanschaulichen Dinge im Weg.
    JS     Ich habe einige Freunde, von denen ich weiß, dass sie ganz andere politische Meinungen vertreten als ich, und es stört mich nicht besonders.
    GW     Ich hätte nichts dagegen, mich mit jemandem von der CDU anzufreunden, wenn ich ihn sympathisch fände. Ich würde diskutieren.
    CW     Aber wir können eigentlich kein Beispiel nennen.
    GW     Es hat es nicht gegeben.
    JS     Ich glaube, es hat einen Grund, warum es das nicht gegeben hat. Könnt ihr verstehen, wenn ich sage, dass in meinen Freundschaften politische Überzeugungen keine so große Rolle mehr spielen?
    CW     Wenn ich eure Generation betrachte, kann ich das verstehen. Es gibt diesen weltanschaulichen Kampf nicht mehr, diesen Klassenkampf: Entweder ist man Kommunist oder Gegner. Warum solltet ihr euch noch an so etwas klammern? Und weißt du, Jana, noch mehr freundschaftliche Beziehungen sind während der DDR -Zeit zerbrochen. Dadurch, dass wir uns veränderten und andere sich unserer Meinung nach unanständig verhielten. Die kamen dann für uns nicht mehr in Frage. Wie eben Herrmann Kant oder der Schriftsteller Dieter Noll 101 , der 1979 in einem Brief an Honecker Stefan Heym und andere Schriftsteller als »kaputte Typen« bezeichnete und damit dazu beitrug, dass sie später aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen wurden.
    GW     Nach der Biermann-Sache erschienen wir nicht mehr im Schriftstellerverband. Wir ließen uns da nicht mehr sehen. Wenn wir ein Visum für den Westen haben wollten, gingen wir gleich zum obersten Kulturbeauftragten der Partei, Kurt Hager 102 .
    CW     Jeder, der ins westliche Ausland reiste, musste einen Bericht darüber schreiben. Ich habe das von Anfang an abgelehnt und habe nie einen geschrieben.
    JS     Wenn ich das richtig sehe, war die Biermann-Ausbürgerung für euch der dritte bedeutende kritische Punkt nach dem 11 . Plenum 1965 und dem Prager Frühling 1968 , an dem ihr euch entscheidend von der Parteimeinung distanziert habt.
    GW     Eigentlich waren wir 1968 schon Feinde, für die Stasi sowieso. Eine richtige Kluft tat sich nach der Biermann-Sache auf, da gab es eine Spaltung.
    CW     Biermann – das war ein Polarisationspunkt. Als ich in jenem November 1976 mit zwei schweren Taschen vom Einkaufen in die Wohnung in der Friedrichstraße zurückkehrte, kam ich in die Küche, und da lief das Radio. Ich hörte die Meldung über die Ausbürgerung, ließ die Taschen fallen, setzte mich und dachte: Das geht zu weit! Jetzt passiert etwas. Schon eine Stunde später rief Stephan Hermlin an und sagte: »Ihr habt es doch sicher im Radio gehört. Bitte kommt morgen.« Er war der Initiator.
    GW     Es gab zwei Entwürfe des Protestbriefes. Einen von Stefan Heym, den haben wir verworfen, und den von Hermlin, den haben wir noch bearbeitet.
    CW     Als wir uns im Haus von Hermlin trafen, verschwand Stefan Heym immer im Nebenzimmer, in dem die Schreibmaschine stand. Einmal kam er heraus und sagte: »Also gemeinsam mit Schriftstellern einen Text zu formulieren ist schlimmer als Flöhe hüten.«
    Ich weiß nicht, ob wir dir das einmal erzählt haben. Nachdem wir den Protestbrief bei Hermlin geschrieben hatten, ging es darum: Wie kommt der unter die Leute? Natürlich geben wir ihn an die DDR -Nachrichtenagentur ADN , und natürlich ist klar, dass die ihn nicht veröffentlicht. Also beschlossen wir: Hermlin geht zu Agence France-Press, und Heym zu Reuters, zu deren Ostberliner Büros. Außerdem wollten wir den Brief auch Anna Seghers zeigen. Sie war damals die Präsidentin des Schriftstellerverbandes und sollte es nicht aus der Zeitung erfahren. Die Frage war, wer geht zu ihr? Icke! Später saß ich mit Sarah Kirsch im Auto, und sie sagte: »Es könnte sein, dass wir verhaftet werden.« An diesem Tag hatte ich noch ein Interview mit dem polnischen Fernsehen, erst danach nahm ich ein Taxi zu Anna Seghers und zeigte ihr den Text. Sie erbleichte: »Ihr wisst gar nicht, was ihr da jetzt gemacht habt!«

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