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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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Nabokov , Berlin Verlag, 2007
    85 Irina Liebmann, geb. 1943 in Moskau, Schriftstellerin, in ihrem Buch Wäre es schön? Es wäre schön! Mein Vater Rudolf Herrnstadt verarbeitet sie die Geschichte ihres Vaters, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Presse in Ostdeutschland mit aufbaute, u. a. die Berliner Zeitung . 1953 kritisierte er die Politik der SED , verlor daraufhin alle Posten, wurde aus der Partei ausgeschlossen und nach Merseburg in Sachsen-Anhalt verbannt. Liebmann ging 1988 in den Westen.
    86 Lawrence Wright, Der Tod wird euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11 . September , DVA , München 2007

Woserin, 25 . März 2008
    Drei Tage später. Das Ostermahl ist vorüber. Draußen ist es noch immer kühl, Mecklenburg versinkt im Regen. Meine Großeltern und ich sitzen bei einem großen Frühstück in der Küche. Wir sind etwas müde, haben bis in die Nacht einen Krimi geschaut. Als wir beginnen zu reden, geht es zunächst einmal mehr um die Staatssicherheit und darum, wie meine Großmutter ihre Tagebücher versteckte.
    JS     Wieso hat die Staatssicherheit nie eure Wohnung durchsucht?
    CW     Sie waren einmal in unserer Wohnung in der Friedrichstraße. Wir hatten damals eine Putzfrau, die einen Putzfimmel hatte. Jedes Stäubchen war ihr zu viel. Einmal waren wir unterwegs, und sie machte die Wohnung sauber. Sie muss viele Thriller gesehen haben, denn als sie die Wohnung verließ, streute sie Mehl auf unseren Abtreter. Als sie am nächsten Tag wiederkam, waren große Mehltapsen im Flur. Außerdem war der Spiegel im Bad heruntergefallen.
    GW     Das war nach der Biermann-Sache 1976 . Damals hatten wir dummerweise einen Privatmann damit beauftragt, unsere Elektrik neu zu installieren. Der verschwand plötzlich, ohne eine Rechnung zu stellen. Der kann etwas eingebaut haben.
    CW     Als wir 1988 von der Friedrichstraße nach Pankow zogen, war plötzlich unser Telefon tot. Ich benachrichtigte die Störungsstelle, es kamen drei Monteure, die alles nachkontrollierten und rückwärts wieder hinausgingen. Der Chef der Mannschaft sagte: »Ich will Ihnen mal was sagen, an uns liegt es nicht!« Da ging ich an die Ecke zur Telefonzelle und rief im ZK bei Ursula Ragwitz an, der Leiterin der Kulturabteilung. Ich sagte: »Hör mal zu, dass ihr mich beobachtet, dass ihr unsere Post aufmacht, das weiß ich. Aber dass ihr uns jetzt noch das Telefon abstellt, wenn wir gerade umziehen, das ist eine Schweinerei. Wenn das bis morgen nicht wieder funktioniert, kannst du das in der Westpresse lesen.« Sie sagte: »Ich danke dir für dein Vertrauen.« Nach ein paar Stunden ging das Telefon wieder. Mittags rief der Chef der Störungsstelle an: »Frau Wolf, also wissen Sie. Bei Ihnen war das so kompliziert, weil Ihr Telefon mit der Sirene auf Ihrem Dach verbunden ist. Und die Sirene war auch kaputt.« Am Vortag hatte sie aber noch funktioniert. Er meinte außerdem, wenn wieder einmal etwas sei, solle ich mich direkt an ihn wenden. Das war ein Lustspiel.
    GW     Bei uns im Keller in der Friedrichstraße hing ein Kästchen, in das nur unsere Telefonleitung hineinführte. Wir überlegten einmal, es zu öffnen, ließen es aber doch sein.
    CW     Ab und zu schauten Monteure vorbei, die ganz neue Arbeitsanzüge trugen und nach dem Kellerschlüssel fragten. Ich fragte, wozu sie den denn bräuchten. Sie müssten die Telefone kontrollieren. Ich fragte, ob denn eins kaputt sei. Dann gab ich ihnen den Schlüssel nicht mehr. Unten in unserem Haus war eine kleine Parfümerie. Am nächsten Tag rief mich die Verkäuferin zu sich und erzählte, dass wieder einer da gewesen sei, der den Kellerschlüssel haben wollte. Sie habe gesagt: »Was haben Sie denn da unten vor? Ist das Band bei den Wolfs schon wieder voll?«
    JS     Habt ihr nicht gerade die ganzen Protokolle eurer Telefongespräche von der Gauck-Behörde bekommen, die geschreddert worden waren?
    CW     Das waren keine ganzen Mitschnitte, das waren Zusammenfassungen, Wochenberichte, wer angerufen hatte.
    GW     Im Spiegel stand jetzt eine Geschichte über eine Frau bei der Gauck-Behörde, die unsere geschredderten Mitschnitte wieder zusammengeklebt hat. Die sagte, nun müsse sie mal die Bücher von Christa Wolf lesen.
    JS     Wenn man so will, liest sich das heute wie eine Art Tagebuch.
    CW     Aber wirklich! Die Karteikarten der Stasi waren wie eine richtige Chronik.
    JS     Ihr hattet Omas Tagebücher ausgelagert. Habt ihr sie nach dem Mauerfall

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