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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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Frage, ob man stets zu allem seine Meinung äußern will und soll. Ich bin nicht der Typ, der flammende Leitartikel schreibt. Das ist nicht meine Ausdrucksform. Ich suche mir eher eine Person oder eine Geschichte, an der entlang ich ein Thema beschreiben kann. Ich will Geschichten erzählen. Diese Eindeutigkeit wie bei euch: Ich bin entweder dafür oder dagegen, empfinde ich als nicht mehr so zeitgemäß. Auf der anderen Seite hat das Geschriebene dadurch vielleicht weniger Kraft.
    GW     Früher hielten wir die Zeit für ein großes linksliberales Blatt. Das ist sie heute nicht mehr.
    JS     Ich finde es gut, dass man nicht mehr sagen kann, das ist ein linksliberales oder ein konservatives Blatt. Es schreiben eben verschiedene Menschen mit verschiedenen Meinungen in einer Zeitung. Das entspricht eher der heutigen Zeit.
    GW     Ob das so zum Ausdruck kommt?
    JS     Ich finde schon. Ob Josef Joffe 108 oder Bernd Ulrich 109 schreiben, ist ein Unterschied.
    GW     Die kenne ich nicht. Die haben doch gar nicht mehr die Präsenz oder die Bedeutung wie früher.
    CW     Du, Gerd, das kommt daher, dass wir das nicht mehr so verfolgen. Wenn Jana zum Beispiel zwei Namen nennt, weiß ich, ich habe sie schon einmal gelesen, könnte sie aber keiner bestimmten Richtung zuordnen.
    JS     Zeitungen spielen an sich leider nicht mehr eine so große Rolle. Eine Fernseh-Talkshow wie Sandra Maischberger hat wahrscheinlich mehr Einfluss, obwohl das nicht unbedingt eine politische Sendung ist.
    CW     Hör mal, Jana, wenn du soziale Themen behandelst, ist das auch politisch.
    JS     Ich denke manchmal, wir haben es schwerer als ihr, uns zu positionieren, weil es diese eindeutigen ideologischen Konflikte kaum noch gibt.
    GW     Eben. Früher wusste man, wofür und wogegen einer war.
    JS     Jetzt sind die 68 er sehr stark, gegen die kann man kaum rebellieren.
    CW     Ist es für euch kein Thema, sich zu fragen, wohin diese Gesellschaftsordnung in der Globalisierung steuert?
    JS     Doch, aber wir oder besser ich setze mich damit nicht ideologisch auseinander. In den Geschichten über die Globalisierung spielt dieses Thema immer eine Rolle. Die Globalisierung hat in China und Indien aber auch Millionen Menschen Arbeit gebracht und aus der Armut befreit. Es ist eben nicht mehr so eindeutig. Ich frage mich vieles, aber es gibt keine Antwort.
    CW     Es gibt keine Alternative.
    JS     Es gibt keine Ideologie wie bei euch, an die meine Generation glaubt und woran sie sich orientiert. Das hat viele Vorteile, wir sind dadurch misstrauischer und vielleicht nicht so verführbar wie ihr. Aber wenn man von etwas völlig überzeugt ist, hat das natürlich mehr Kraft.
    GW     Das merkt man in der Literatur ganz deutlich. Da spricht man nun von einer Dominanz der Ostproblematik bei den Jüngeren. Marcel Beyer 110 lässt seinen Roman Kaltenburg in Dresden spielen und setzt sich darin mit der DDR -Geschichte auseinander. Das finde ich hochinteressant, viele Schreiber finden dort noch Konflikte und Widersprüche, die hart aufeinanderprallen. Sonst sind die heute vielleicht nicht so greifbar. Die mittlere Generation der DDR -Literaten konnte Konflikte aufgreifen, die in den Medien nicht behandelt wurden. Heute wird in den Medien alles behandelt.
    JS     Die Bedeutung der Literatur und der Literaten war in der DDR auch eine andere. Man merkt es daran, was ihr erzählt. Ständig musstet ihr euch vor irgendeiner Kommission rechtfertigen, ständig wurde auf das reagiert, was ihr gesagt oder gemacht habt. Das ist heute anders. Heute muss man sehr laut schreien, um noch gehört zu werden. Manchmal war diese ungeheure Bedeutung, die ihr als Schriftsteller in der DDR hattet, bestimmt auch sehr schmeichelhaft.
    CW     Das war aber auch sehr anstrengend. Heute entzünden sich die Auseinandersetzungen mehr am Personal, wie zum Beispiel an der Figur des SPD -Vorsitzenden Kurt Beck. Um die Sozialdemokratie geht es dabei gar nicht mehr. Oder ich lese auf der Medienseite der Zeitung: Dieser Chefredakteur geht, dafür kommt ein anderer. Das ist mir völlig egal, ich kenne weder den einen noch den anderen.
    JS     Ich verfolge das immer sehr aufmerksam.
    GW     Zum Beispiel dein Chefredakteur, Giovanni di Lorenzo 111 , wie würdest du ihn politisch charakterisieren?
    JS     Als nonkonformistisch, nicht einfach einzuordnen. Wertkonservativ mit linken Einsprengseln, würde ich sagen. Was er

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