Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
Vom Netzwerk:
zwei Stunden kehrte er mit einem Tagesvisum zurück nach Ostberlin. Die Putzfrauen betrachteten mich ganz mitleidig. Im Westen hätte ich ihn natürlich einfacher und öfter sehen können.
    Jetzt aber einmal ein ganz anderes Thema: In deinen Büchern, Oma, spielt Sex eigentlich gar keine Rolle. Charlotte Roches Buch Feuchtgebiete steht gerade ganz oben auf der Bestsellerliste. Sie schreibt über all das, was man nicht unbedingt lesen will, zum Beispiel über Hämorrhoiden, und hat damit unheimlichen Erfolg.
    CW     Ich wundere mich darüber. Das deutet darauf hin, dass die sexuelle Befreiung noch nicht sehr fortgeschritten ist.
    GW     Das gibt es doch alles schon viel besser bei Henry Miller. Damals war das eine richtige Revolution. Roche ist dagegen sehr langweilig.
    JS     Vielleicht geht das nur euch so!
    CW     Vielleicht. Wir sind noch sehr verklemmt erzogen worden. Meine Mutter war fassungslos, dass ich als Studentin mit Gerd im selben Haus wohnte und einfach in sein Zimmer hinaufging, um mit ihm Kaffee zu trinken. Sie sagte: »Du kannst doch nicht zu ihm rauf, er könnte doch im Bett liegen und schlafen.« Da war schon längst alles passiert, und Gerd musste meiner Mutter beibringen, dass wir ein Kind bekommen.
    JS      (zu GW ) Oje, wie hast du das gemacht?
    GW     Na, ich habe ihr gesagt, wir kriegen ein Kind. Da brach für sie anscheinend eine Welt zusammen, sie beschimpfte Christa mächtig.
    JS     Wer hat euch denn aufgeklärt?
    CW      (lacht) Aufgeklärt ist gut! Dass Kinder im Bauch einer Frau wachsen, war mir lange nicht klar. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, hatte ich eine Freundin in Landsberg, die sagte: »Weißt du, dass Frau Altenau ein Kind kriegt?« Ich: »Nee!« Sie zeigte es mir dann. Ich musste Frau Altenau auf der Straße entgegengehen. Ich sehe sie noch vor mir, sie trug einen Mantel, der nicht mehr richtig zuging, und darunter sah ich diesen überdimensionierten Bauch. Die Freundin erklärte mir, darin wachse ein Kind. Das war mir neu.
    JS     Und woher wusstet ihr, wie die Kinder entstehen?
    CW     Ich muss es gewusst haben. Mein Bruder Horst und ich schliefen in einem Zimmer. Abends lagen wir im Bett und unterhielten uns lange. Eines Abends wollte er von mir wissen, wie die Kinder gemacht werden. Ich war zwölf und wusste es komischerweise, denn ich sagte, das könne ich ihm nicht verraten, er sei noch zu klein. Er meinte, ich könne es ihm ruhig erzählen, er würde es sowieso gleich wieder vergessen. Da erzählte ich es ihm und fragte anschließend: »Hast du es schon vergessen?« Er: »Ja!« Ich habe ihn aufgeklärt, aber wer mich aufgeklärt hat, weiß ich nicht.
    GW     Man konnte in Lexika und Büchern nachschauen.
    CW     Stimmt. Im Wäscheschrank meiner Eltern lag ganz klassisch ein Buch, Mann und Weib . Das schlug ich auf und schaute mir die Bilder an.
    GW     Man hat sich mit den Jungs darüber unterhalten.
    JS     Also eure Eltern schwiegen dazu?
    CW     Mit meiner Mutter konnte ich darüber nicht sprechen. Sie verachtete das Triebhafte. Man hatte sich zu beherrschen. Die Generation unserer Eltern hatte für Sexualität keine Sprache. Wir waren schon etwas offener.
    GW     Mein Vater bewahrte in seiner Brieftasche Zettelchen mit schweinischen Witzen auf. Die fand ich und erzählte die Witze auch.
    JS     Und wie habt ihr es später bei euren Töchtern gemacht?
    CW     Das musst du sie einmal fragen. Wir waren sicher offener als unsere Eltern, aber nicht offen genug. Heute geht man anders mit Kindern um.
    JS     Ich wurde bei euch in Neu-Meteln von Helga Paris’ Tochter aufgeklärt. Da war ich fünf. Und meine Mutter und Honza hatten in unserer Johannisthaler Wohnung einen Playboy versteckt. Im Buchregal stand auch der Erotikband Das Delta der Venus von Ana Ï s Nin 112 . Darin blätterte ich manchmal. Ich stellte es dann schnell wieder zurück, damit nur niemand bemerkte, dass ich darin gelesen hatte. Peinlich, peinlich. Ich war mitten in der Pubertät und empört darüber, dass meine Eltern so etwas »Pornoartiges« herumliegen hatten. Faszinierend fand ich es aber doch.
    In der achten Klasse wurde bei uns in Biologie die Fortpflanzung des Menschen durchgenommen. Viele Lehrer ließen sich extra deswegen krankschreiben. Die Armen. Bei uns kam es aber noch schlimmer. Bei uns übernahm meine Mutter die Aufklärung, weil sie Psychologin ist. Alle Schüler konnten anonym Fragen auf Zettelchen

Weitere Kostenlose Bücher