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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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und der andere nicht?
    GW     Ein paar Tage ja, dann nicht mehr.
    CW     Ich habe mich natürlich gar nicht wohl gefühlt. Ich schrieb einen Brief, dass ich aus dem Vorstand des Schriftstellerverbandes austrete. Und da sie mich aus der Partei nicht ausschließen wollten, würde ich an keiner Parteiveranstaltung mehr teilnehmen. Ich war aber noch in der Parteigruppe des Schriftstellerverbandes. Dort gab es Versammlungen, auf denen Kollegen sagten: »Also, so geht es ja nun nicht mit der Wolf!« Dann redete ich mit Konrad Wolf und fragte ihn, ob er mich in die Parteigruppe der Akademie der Künste aufnehmen würde. Konny stimmte zu. Dort bin ich aber auch nicht hingegangen. Ab und zu schaute ein Parteisekretär vorbei und fragte, ob ich nicht einmal zu einer Versammlung kommen wolle. »Nein«, sagte ich. »Schließt mich doch aus, das sage ich ja die ganze Zeit.«
    JS     Und dich, Opa, haben sie direkt auf der Parteiversammlung hinausgeworfen?
    GW     Ich bekam sogar die schärfste Strafe.
    CW     Weil sie immer dachten, er habe mich angestiftet.
    GW     Es gab zwei Formen des Ausschlusses – Ausschluss oder Streichung. Von den Erstunterzeichnern des Protestbriefes war ich der Einzige, der sofort ausgeschlossen werden sollte. Auf mich waren sie besonders böse, weil ich in den Aussprachen keine Besserung gelobt hatte. Auf der Versammlung der Parteigruppe im Schriftstellerverband saß Jurek Becker 104 neben mir, und ich sagte noch zu ihm: »Warum sind die auf mich am meisten sauer?« Den anderen wurde zur Strafe nur ihre Parteimitgliedschaft gestrichen, aber sie wurden nicht ohne alle Vorstufen aus der Partei ausgeschlossen. Jurek Becker sagte dann: »Pass auf!« Er ging nach vorn und hielt eine ganz scharfe Rede. Daraufhin schlossen sie auch ihn aus. Die Stimmung dort war unheimlich geladen. Alte Spanienkämpfer traten auf und riefen: »Solche Leute wie Stephan Hermlin haben wir damals erschossen!«
    JS     Die Schriftsteller gingen aufeinander los.
    CW     Aber wie!
    GW     Bei mir stimmten fast alle außer den Mitausgeschlossenen gegen mich. Nur einer, mein ehemaliger Vorgesetzter vom Rundfunk, enthielt sich der Stimme.
    JS     Und du, Oma, warst da nicht dabei?
    CW     Nein, ich hatte wirklich etwas am Herz und wollte trotzdem in den Saal. Die ließen mich und Kunert aber nicht hinein. Später wurde ich einmal zu Honecker gerufen und sagte ihm, dass ich nach wie vor der Meinung sei, ich müsste ausgeschlossen werden genau wie mein Mann. Ich hätte auch nichts zurückgenommen. Die Stasi hatte in unserer Gruppe der Erstunterzeichner verbreitet, ich hätte meinen Protest zurückgenommen. Das war das Schlimmste. Ich merkte, wie einige plötzlich von mir abrückten, sich mir gegenüber anders verhielten. Gott sei Dank steht in unserer Akte, wie die Stasi versuchte, dieses Gerücht zu verbreiten. In diesem Fall war mir absolut klar, ich nehme nichts zurück. Hätte ich das zurückgenommen, hätte ich nicht mehr schreiben können. Weißte, das wäre nicht mehr gegangen. Honecker meinte zum Schluss: »Bleib mal bei uns. Die Partei wird so, dass auch du bleiben und gut schreiben kannst.«
    JS     Da muss eine Stimmung unter den Schriftstellern geherrscht haben, wenn der eine den anderen ausschließen will … Das ist doch keine Umgebung, in der man noch gern arbeitet.
    CW     Man ging nicht mehr in diese Institutionen. Das Ganze zog und zog sich weiter hin. Dann ging es darum, diejenigen, die im Vorstand des Schriftstellerverbandes saßen und den Fehler nicht zugeben wollten wie ich, auszuschließen. Dazu gab es eine Versammlung im Schriftstellerverband, zunächst in der Parteigruppe. Im Vorstand waren ungefähr dreißig Leute, davon zwanzig in der Parteigruppe. Sie redeten auf uns ein: Wir sollten doch nun endlich einmal einsehen, dass wir einen Fehler gemacht hätten. Neben mir saß Volker Braun, wir wichen nicht von unserer Linie ab. Die sagten: »Also, ihr seht, Genossen, sie sind unbelehrbar, und wir müssen sie aus dem Vorstand ausschließen.« Die wollten abstimmen. Auf einmal meldete sich Anna Seghers: »Na, Genossen, lasst mich einmal was sagen. Also schaut mal, wenn die das mit Gewalt nicht sagen wollen, dann müsst ihr sie doch einmal in Ruhe lassen. Wenn die es nicht zugeben wollen, dann wollen sie nicht.« Die anderen waren sehr erstaunt: »Aber Anna, du hast doch vorgestern selbst noch gesagt …« Anna: »Ja, man kann seine Meinung ändern.« – »Also

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