Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Ich wurde nicht mehr eingeladen. Ich war der böse Geist der Familie.
JS Hattet ihr beide in dieser Zeit Konflikte miteinander?
CW Nur als ich ins ZK gegangen bin, da war Gerd zu Recht ganz und gar dagegen. Ich wusste aber damals nicht, wie ich mich da wieder herausziehen sollte. Sonst waren wir völlig einer Meinung.
GW Ich hätte Christa auch nie geraten, aus der Partei auszutreten. Das hätte bedeutet, dass wir uns in der DDR nicht hätten halten können. Das hätten die Führenden als Bruch empfunden, und sie hätten uns noch mehr schikaniert.
JS Wärst du denn gern in der Partei geblieben, Opa?
GW Ach, ich hatte mit denen nichts mehr im Sinn.
JS Es hört sich an, als wäre es eine einzige Taktiererei gewesen: Wie weit kann man gehen, wie verhält man sich am geschicktesten?
GW Das war einfach so. Stefan Heym, zum Beispiel, haute im Westen auf den Putz und veröffentlichte drüben. Auf den waren die Genossen besonders sauer, nannten ihn »diesen ehemaligen US -Bürger«. Aber auch er wollte nicht fort aus der DDR .
CW Nach dem Mauerfall sah ich mit Heyms Frau Inge manchmal zeitgleich die Stasi-Akten in der Normannenstraße ein. Als sie las, was die Staatssicherheit alles über sie gesammelt hatte, sagte sie: Mensch, vielleicht hätten wir doch weggehen sollen. Sogar ihre Haushälterin hatte sie bespitzelt 105 .
JS Von den nahen Menschen war in eurem Umfeld nur Thomas Nicolaou bei der Stasi, habt ihr ihn in der Zwischenzeit nun einmal wiedergesehen?
CW Nein. Ich habe ihm das auch nicht so furchtbar übelgenommen, aber hinterher hätte er es uns ruhig einmal erzählen können.
JS Loyalität und Verrat haben in euren Freundschaften eine ganz andere Bedeutung als in meinen heute. Es geht zum Glück nicht mehr um so existentielle Dinge.
GW Wo würde man heute von Verrat sprechen? Andrea Ypsilanti – Lügilanti, das nennt man dann Verrat.
JS Du meinst die SPD -Spitzenkandidatin in Hessen, die erst jegliche Zusammenarbeit mit den Linken ausschloss und nach der Landtagswahl in diesem Januar eine rot-grüne Minderheitsregierung mit der Tolerierung der Linken anstrebte.
GW In diktatorischen Gesellschaften bedeutet Verrat etwas anderes. Heute geht es um die Steuer, wenn du dein Geld in der Schweiz oder in Liechtenstein anlegst, ist das auch Verrat.
JS Aber der trifft einen nicht persönlich, der dringt nicht in die intimsten Bereiche vor. Obwohl man über diese existentiellen Konflikte gut schreiben kann. Alles ist immer bedeutsam. Deshalb finde ich viele Bücher von jungen deutschen Autoren heute öde, weil es in ihren Texten meist um nicht viel geht, was man ihnen aber auch nicht vorwerfen kann. Kommen euch die vergangenen 18 Jahre nach dem Mauerfall manchmal ein bisschen langweilig vor?
GW Man ist halt nicht mehr so eingebunden. Aber was heißt langweilig? Die Angriffe auf Christa waren nicht langweilig. Das läuft als Unterströmung weiter. Die Geschichte mit Günter Grass und der SS , plötzlich kommt das wieder hoch, oder die Diskussion um Walter Jens 106 und seine Mitgliedschaft in der NSDAP . Aber das betrifft deine Generation nicht mehr richtig. Das sind die alten Kämpfe, rechts gegen links. Nur in einer pluralistischen Gesellschaft spitzt sich nicht mehr alles auf diesen Kampf zu.
JS Kurz regen sich alle auf, und dann ist es wieder vorbei.
CW Weil eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird.
Wir schweigen für einen Augenblick. Mein Großvater und ich räumen den Tisch ab. Meine Großmutter sieht auf den Herd, springt auf.
CW Ich sehe mit Schrecken, mein Gehacktes steht noch im Ofen!
GW Wo engagierst du dich eigentlich, Jana?
JS In der Zeitung.
GW Aber wofür eigentlich?
JS Für Themen, von denen ich denke, dass sie in die Öffentlichkeit sollten.
GW Kann man denn überhaupt etwas ausrichten?
JS Manchmal. In Einzelfällen.
GW In deinem Buch Denn wir sind anders über deinen Jugendfreund Felix, der dunkelhäutig war, ein Hooligan und sich das Leben nahm, ergreifst du richtig Partei. 107
JS Das ist auch ein sehr persönliches Buch. Mit Felix bin ich aufgewachsen, ich kannte ihn mein halbes Leben lang. Und am Ende brachte ihn unter anderem eine Staatsanwältin zu Fall. Eine solche Parteinahme kann man in Zeitungsartikeln nicht in diesem Maße machen. Es ist auch die
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