Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Against American Women , 1991 .
123 Erich Fried ( 1921 – 1988 ), österreichischer Lyriker und Essayist
124 Deirdre Bair, Simone de Beauvoir, A Biography , Cape, 1990
Woserin, 18 . Juli 2012
Das letzte Gespräch 2008 war nicht als letztes Gespräch zu dritt geplant. Wir hatten überhaupt nichts geplant. Wieder sind Jahre vergangen. Meine Tochter Nora ist inzwischen fast vier, ich habe geheiratet und fast ein Jahr lang in Los Angeles gelebt. Meine Großeltern arbeiteten viel. Meine Großmutter brachte Stadt der Engel , das Manuskript, um das es so oft ging, noch zu Ende, es wurde 2010 veröffentlicht. In den vergangenen Jahren ging es ihr gesundheitlich immer schlechter. Für Gespräche blieb keine Zeit mehr und keine Kraft. Im Dezember 2011 ist meine Großmutter gestorben.
Im Sommer 2012 fahren mein Großvater und ich das erste Mal nach ihrem Tod in das Woseriner Haus. Das Zimmer meiner Großmutter ist so, wie sie es ein Jahr zuvor verlassen hat. Ihre Kleider hängen noch im Schrank, ihre Fotos und Postkarten kleben noch an der Wand, ihr Bett ist noch bezogen. Mein Großvater streicht ein wenig abwesend durch die Flure. So viel gemeinsame Zeit. Es ist kalt, und es regnet. Ein missratener Sommer. Hinter dem Haus stehen zwei Bäume vor dem Fenster. Einer der beiden, die Ulme, ist gerade eingegangen. Mein Großvater erzählt dies mit großem Bedauern am Küchentisch. Dort, wo wir einst zu dritt saßen, sitzen wir nun zu zweit.
JS Die Ulme ist gestorben.
GW Gut, dass Christa das nicht erlebt. Vor Jahren gab es einmal ein Ulmensterben in der Gegend, aber warum die jetzt eingeht? Sie schlägt unten an der Wurzel wieder ein bisschen aus, vielleicht kommt sie wieder. Keine Ahnung.
JS Die beiden Bäume hast du mit Omi eingepflanzt?
GW Die Terrasse hinterm Haus gab es früher nicht. Als wir einzogen, ließen wir Erde aufschütten und fanden zwei Zweige darin. Wir wussten nicht, was das war, und setzten sie aus Spaß ein. Das eine war ein Ahorn und das andere eine Ulme, die ganz selten ist.
JS Es wirkt fast symbolisch, dass die Ulme gerade jetzt eingegangen ist.
GW Kann sein. Es hat auch lange gebraucht, bis sich die Trauerweide im Garten erholt hat, sie ist nun höher als das Dach. Die kleine Linde vor dem Haus ist auch groß geworden. Das dauert hier manchmal, bis so ein Baum Fuß fasst. Bis auf die alten Apfelbäume sind alle Bäume neu.
JS Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das ist, wenn man mehr als sechzig Jahre fast jeden Tag mit einem Menschen zusammen verbracht hat und dieser Mensch plötzlich nicht mehr da ist.
GW Na ja, Christa ist noch anwesend, weil ich mich laufend mit ihren Sachen beschäftige. Ich bekomme so Anfälle, wenn mir etwas in den Sinn kommt, muss ich es noch einmal lesen. Da stehe ich sogar nachts auf und schlage etwas nach.
JS Versenkst du dich auch in Omas Tagebücher?
GW Nein, noch gar nicht. Der Suhrkamp Verlag will eine Gesamtausgabe herausbringen und mit etwas Unbekanntem beginnen. Ich muss mal sehen, ob man weit zurückliegende Tagebücher doch schon einbeziehen kann. Es gibt auch eine ganze Menge unveröffentlichter Texte, Kurzgeschichten, Erzählungen, mal sehen, was man daraus komponieren kann. Ich möchte gern eine bestimmte Erzählung veröffentlichen, die Christa nicht zu Ende geschrieben hat.
JS Das heißt, du siehst deine Aufgabe darin, möglichst noch viele Bücher von Oma zu veröffentlichen?
GW Jedes Jahr sollte etwas erscheinen. Es gibt zum Beispiel eine völlig andere Fassung von Kindheitsmuster . Vielleicht kriegt man da ein schönes Buch zusammen …
JS Habt ihr – Oma und du – euch einmal darüber unterhalten, was passiert, wenn einer von euch stirbt?
GW Nein, glaube ich nicht. Christa hatte Angst, dass ich zuerst umfalle, weil sie immer unbeweglicher wurde.
JS Ihr habt nie über den Tod gesprochen?
GW Nein, wenig. Sie hat sehr viel in den Tagebüchern darüber geschrieben, aber nicht mit mir darüber geredet.
JS Ich habe es einmal im Krankenhaus probiert, hörte aber gleich wieder damit auf. Ich merkte, dass sie nicht darüber sprechen mochte.
GW In ihren Tagebüchern geht es sehr viel um den Tod. Das geht los mit ihrer Freundin Christa T., die an Leukämie gestorben ist. Dann Maxi Wander, Brigitte Reimann, ihre Kolleginnen sind reihenweise an Krebs gestorben. Böse Krankheiten. Innerlich hat sie
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