Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
sich sehr damit auseinandergesetzt. Deswegen gab es in Christas letzter Erzählung August 125 diesen Rückgriff auf ihre Tuberkulose-Erkrankung 1946 und die Verehrung dieses Jungen in dem Sanatorium. Es ist das erste Mal, dass sie einen Mann erzählen lässt, sich so in ihn hineinversetzt, dass sie ihn erzählen lassen kann. Christa hatte die Briefe von ihm aufgehoben.
Mein Großvater schweigt einen Augenblick.
GW Nun gibt es die schöne Idee, einmal ein Buch zu machen, nicht über Brecht oder Heiner Müller und ihre Frauen, sondern über Christa Wolf und einen Mann.
JS Es gab nicht viele Männer in Omis Leben.
GW Christa hat immer welche verehrt. Nach dem 11 . Plenum 1965 war sie fast ein bisschen abhängig von ihrem Psychologen. Da ist sie von uns weggetreten und brauchte andere Bezugspersonen.
JS Wie war das für dich?
GW Es hat mich nicht betroffen. Der wichtige Mann vom Schriftstellerverband in Moskau war in sie verliebt gewesen. Sie bemerkte, sie wurde verehrt.
JS Du hast diese Männer nicht ernst genommen?
GW Das stand auf einer ganz anderen Ebene.
JS Kanntest du Frauen, die du verehrt hast?
GW Ich habe einmal mit einer Frau doll getanzt. Sonst nicht. Ich wollte Christa das auch nicht antun, dazu war die Bindung zu stark. Christa wollte so etwas auch gar nicht hören. Ich glaube, sie war schnell eifersüchtig.
JS Eine kleine Eifersucht muss es doch einmal geben.
GW Muss es nicht.
JS In sechzig Jahren Ehe muss es doch auch Phasen gegeben haben, in denen es einmal nicht so gut lief.
GW Wir haben uns gestritten über ein Manuskript oder über politische Dinge. Ich war zum Teil auch ganz anderer Meinung als sie. Sie war oft hin- und hergerissen. Ich war immer sehr viel rigoroser oder direkter. Womit sie sicher gehadert hat, war, dass sie nach der Biermann-Sache nicht wie ich aus der Partei ausgeschlossen wurde.
JS Das sind politische Auseinandersetzungen, von denen du erzählst, weniger persönliche Konflikte, oder ging das ineinander über?
GW Was sind nicht politische Themen? Gesellschaftliche Konflikte, weltanschauliche Fragen. Was heute in der Literatur der jungen Leute keine Rolle mehr spielt. Ich habe mich gefreut, dass Ingo Schulze 126 sich in einem SZ -Artikel nun einmal richtig politisch mit der Globalisierung auseinandersetzt. Machen die Autoren heute selten.
JS Es ist auch eine ganz andere Zeit. Oma kam sich in den letzten Jahren manchmal auch ein wenig ausrangiert vor.
GW Sie war politisch nicht mehr so stark eingebunden wie zuvor. Während des Mauerfalls war sie es noch, aber danach wurde sie heftig als »Staatsdichterin« angefeindet. Die Sache mit der IM -Akte hatte sie weggeschoben, wir diskutierten damals zuerst darüber, ob man damit in die Offensive gehen sollte. Christa sagte, das halte sie nicht aus.
JS Ich versuche weiter, hinter das Geheimnis von sechzig Jahren Ehe zu gelangen. Funktioniert eine so lange Beziehung nur, indem man sich Freiraum lässt?
GW Für mich war Christa immer auch eine wichtige Autorin. Ich wollte sie unterstützen und versuchte auch zu sehen, was sie nicht kann. Ich bin ja ein ganz guter Lektor. Sie hat sich für meine Sachen nie so intensiv interessieren müssen wie ich mich für ihre. Ich habe ihr meine Texte meist erst in einer späteren Entwicklungsphase zum Lesen gegeben oder nicht darüber geredet.
JS Aber es war nie ein Thema, dass sie die Erfolgreiche war?
GW Es war so, aber es war kein Thema. Gott sei Dank! Ich habe es ihr nicht geneidet. Manchmal wurde Blödsinn über mich geschrieben, ich sei der »Prinzgemahl«. Das war es nicht. Christa hatte das Gefühl, dass ich zu Hause dominiere. Es ist eben ein Ehemodell der anderen Art. Ich kann nur über mich schreiben, indem ich über andere schreibe, über die Dichter Hölderlin oder über Johannes Bobrowski 127 . Das ist mein Zugang, und ich habe viel mehr Hemmungen. Christa war die Dichterin. Es gibt auch Autoren, die müssen schreiben, wie Heiner Müller. Christa und er waren beide einmal Mitarbeiter im Schriftstellerverband vor langer Zeit, als sie beide noch nicht bekannt waren. Da saß er und sagte mit leiser Stimme zu ihr: »Ich werde einmal der wichtigste Dramatiker Deutschlands!«
Wir lachen beide.
GW Heiner hat es Christa übelgenommen, dass sie diese Begebenheit aufschrieb. Er wurde später einmal gefragt,
Weitere Kostenlose Bücher