Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Uwe Timm 132 und Ingo Schulze.
GW Die beiden habe ich gar nicht gesehen. Viele DDR -Autoren, die nach drüben gegangen sind, entdeckten nach der Wende, dass sie mit denjenigen, die in der DDR geblieben waren, nichts mehr gemein haben wollten. Am stärksten war das bei Sarah Kirsch. Bis kurz nach dem Mauerfall waren wir eigentlich befreundet, danach nicht mehr.
JS Hat sie sich zum Tod von Oma gemeldet?
GW Nein. Das war nach dem Mauerfall ganz aus. Ich habe noch einen langen Essay über sie geschrieben, aber sie hat einfach den Kontakt abgebrochen. Übrigens hat s ich keiner der Prenzlauer-Berg-Literaten, die wir über Jahre unterstützt und gefördert haben, mit einer Zeile zu Christas Tod gemeldet. Sie haben das völlig an sich vorbeigehen lassen.
JS Eine Gemeinschaft unter Autoren gibt es nicht?
GW Die gab es auch vorher nicht richtig. Viele Freundschaften sind zerbrochen. Die Freundschaft mit Günter Grass entstand erst zur Wendezeit. Er nahm immer Partei, billigte nicht die Einvernahme der DDR durch die Bundesrepublik. Als Christas Stasigeschichte aufkam, gab es einen Briefwechsel zwischen ihm und Christa, von da an waren wir richtig befreundet. Am meisten waren wir mit Max Frisch verbunden. Er hatte eine Wohnung in Westberlin. Durch ihn kamen wir auch mit Uwe Johnson 133 in Kontakt. Das war ein spannungsreiches Verhältnis.
JS Johnson warf euch immer vor, dass ihr die DDR nicht verlasst …
GW … dass man in der DDR nicht die Wahrheit schreiben könne. Da konnte er explodieren. Er sagte immer, er sei nicht in den Westen geflohen, sondern umgezogen. Dafür wurde er angegriffen. Wenn er getrunken hatte, konnte er losgehen. Wenn er einen bestimmten Pegel erreicht hatte, war er ganz bezaubernd, aber wenn der überschritten war, wurde er rabiat. Alle haben mit ihm gestritten, keiner war mit ihm in Frieden. Auch mit Frisch hatte er sich überworfen. In der Friedrichstraße kam er uns einmal besuchen, da sagte er: »Ich weiß gar nicht, wo ich hier bin. Bin ja nicht bei Feinden, bin ich bei Freunden?« Vermutlich hatte ihm Nachdenken über Christa T. gefallen.
JS Bei Omas Beerdigung hast du eine Rose auf das Grab von Thomas Brasch gelegt.
GW Und eine auf das Grab von Hans Mayer. Aber Brasch ist der Beste.
JS Ich habe gerade Vor den Vätern sterben die Söhne gelesen. Da wird einem dieses Bedrückende, diese Enge der DDR noch einmal schmerzhaft bewusst.
GW Auch seine Gedichte sind sehr gut: »Wer durch mein Leben geht, muss durch mein Zimmer.« Brasch war ein verrückter Hund. Als Christa ihm 1987 den Kleist-Preis verlieh, lag er auf Knien vor ihr. Ihre Laudatio war der Grund, warum Reich-Ranicki auf Christa losging und sie erstmals eine »Staatsdichterin« nannte 134 . Brasch hat sie verteidigt. Einmal lud er uns in Zürich in das beste Lokal ein und beschimpfte uns den ganzen Abend wahnsinnig.
JS Warum?
GW Das war bei ihm so. Er trank nur Whisky Sour und war völlig verkokst. Alle müssen das gewusst haben.
JS Viele koksen!
GW Bei dem Sänger Konstantin Wecker gab es deshalb einen Riesenaufstand. Bei Brasch wussten alle, er kokst wie verrückt, und ihm passierte nie etwas. Das sind so Dinge, die mir unerklärlich bleiben.
JS Welches ist für dich Omas wichtigstes Buch?
GW Ihren eigenen Stil findet sie mit Juninachmittag 1965 . Dann Nachdenken über Christa T. , Kein Ort. Nirgend s, Kindheitsmuster bekam das größte Echo.
JS Ich habe jetzt erst Kassandra gelesen. Es ist vom Sprachduktus ganz anders als ihre anderen Bücher. Das ist ein hermetischer Text, in dem jedes Wort genau an der richtigen Stelle steht. Der Text hat einen Rhythmus wie ein Musikstück. Toll.
GW Stimmt. Da ist manchmal ein bisschen Versmaß drin.
JS Es hat mich auch erstaunt, so ein hermetisch geschlossenes eigenes Kunstwerk kannte ich von ihr noch nicht.
GW Es ist besonders.
JS Hast du immer sofort alles gelesen, was Christa geschrieben hat, oder hast du manchmal abgewartet, bis sie dir etwas gab?
GW Das war unterschiedlich. Sie wollte sich immer noch einmal mit Medusa, einer anderen Figur aus der griechischen Mythologie, beschäftigen. Das hat sie nicht mehr geschafft.
JS Auch das letzte Buch Stadt der Engel fiel ihr schwer. Daran hat sie sehr lange gearbeitet.
GW Dabei ging es lange um die Form des Ganzen. Außerdem wollte
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