Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
welche Werke er von Christa Wolf schätze. Er antwortete: Na, vielleicht ein paar essayistische Sachen! Ihr feministischer Zugang war nichts für ihn. Er sah die Welt als Schicksalsdrama. 1961 war er aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen worden, und Christa war bei einer dieser Versammlungen dabei gewesen. Sie hat ihm später auch gesagt, dass sie gegen ihn gestimmt hatte. Er hat das Stück Die Umsiedlerin über die Kollektivierung der Landwirtschaft geschrieben, das verboten wurde. Darin heißt es so schön von einem, der sterben soll: »›Sind wir im Himmel oder in der Hölle?‹ – ›Fürs Erste sind wir in der LPG .‹«
JS (lacht) Wunderbare Sätze!
GW Das fanden damals alle zu hart. (Lachen) Heiner hat danach zunächst andere Sachen geschrieben. Eine von Heiners Frauen sagte einmal zu Christa: Wenn du wüsstest, wie er dich beneidet! Christa hatte Erfolg, ein Publikum. Er hatte eine Gemeinde, aber kein Publikum.
JS Anerkennung war für Oma wichtig.
GW Anerkennung ist nicht das richtige Wort. Dass ihr Geschriebenes Wirkung hatte und dass die Menschen es mochten, das hat sie genossen. Obwohl, genossen ist auch nicht der richtige Ausdruck. Preise waren schwierig, aber wichtig. Es war so ein Wechselverhältnis. Vor dem Mauerfall waren Lesungen mit Kassandra oder Kein Ort. Nirgends immer Riesenveranstaltungen, sie bekam viel Zuwendung. Am dollsten war es einmal in Stuttgart, dort saßen 1200 Menschen im größten Konzertsaal. Als sie 1987 den DDR -Nationalpreis verliehen bekam, fragten wir uns, was wir machen sollten. Eigentlich hätten wir den Preis nicht annehmen wollen. Wir sind nicht zum Empfang gegangen und haben das Geld an Leute verteilt, die es brauchten.
JS Du hast neulich erzählt, dass Oma erst gar nicht zu Suhrkamp gehen mochte, warum nicht?
GW Als Christa 1982 die Poetik-Vorlesungen 128 zu Kassandra in Frankfurt hielt, war der Suhrkamp Verlag maßgeblich daran beteiligt. Zuvor waren Ingeborg Bachmann und Uwe Johnson dort eingeladen gewesen. Kassandra erschien zuerst in der Bundesrepublik bei Luchterhand, und Christa wollte, dass die Vorlesungen und die Erzählung in einem Band zusammen veröffentlicht werden. Die Poetik-Vorlesungen erschienen immer bei Suhrkamp. Und da unternahm Siegfried Unseld Anstrengungen, Christa als Autorin zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass ihre Vorlesungen doch bei ihm, bei Suhrkamp, kämen. In dem konkreten Fall gestand er am Ende aber zu, dass sie bei Luchterhand veröffentlicht wurden.
JS Du hast einmal gesagt, Oma fand, bei Suhrkamp seien zu viele männliche Autoren.
GW Siegfried Unseld machte mir gegenüber 1982 ein falsches Angebot. Auf einem Bahnhof bot er mir auf die Hand eine Viertelmillion Mark. Ich empfand das als ungehörig und lehnte ab. Unseld sagte nicht: Ich liebe ihr Werk oder etwas Vergleichbares. Nicht wie Ulla Berkéwicz. Dass wir bei Suhrkamp sind, ist ihr Verdienst.
Als Gerald Trageiser 129 , der frühere Leiter des Luchterhand Verlags, der sehr viel für Christa getan hatte, 2001 den Verlag verließ, weil er sich bei Bertelsmann nicht mehr wohl fühlte, wollten wir auch weg. Wir mochten nicht zu einem Konzern gehören, zu dem schon viele andere Verlage gehörten.
Bei Volker Brauns 65 . Geburtstag 2004 in der Literaturwerkstatt lernten wir Ulla Berkéwicz kennen. Wenn wir schon früher bei Suhrkamp gewesen wären, dann wäre manches vielleicht ganz anders gelaufen. Siegfried Unseld hat immer sehr zu seinen Autoren gehalten – sogar zu Peter Handke 130 mit seiner Sympathie für Slobodan Milo š evi ć . Er hat Handke respektiert.
Unseld, die Suhrkamp-Kultur – das war und ist ein Aushängeschild. Wenn du in den Keller der Unseld-Villa gehst in der Frankfurter Klettenbergstraße, stehen dort weiß ich wie viele Bände, die er verlegt hat, ein breites Spektrum von Adorno bis Habermas.
Mein Großvater sieht ein wenig müde aus. Er schaut aus dem Fenster, es hört nicht auf zu regnen.
JS Willst du dich hinlegen, Opa?
GW Ja, später.
JS Du hast einmal gesagt, dass Autoren nicht auf die Beerdigungen von anderen Autoren gehen. Es klang ein wenig traurig. Hast du sie bei Oma vermisst?
GW Nein, das habe ich gar nicht erwartet. Es waren ja sehr viele Menschen da, und es war der Kreis, den wir wollten. Zum Glück gab es kein Staatsbegräbnis, was es heute in dem Sinne nicht mehr gibt. Uwe Tellkamp 131 war da …
JS … und
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