Sei lieb und büße - Thriller
hat ihn verfasst? Céline? Max? Er hätte aus dem Krankenhaus kommen können, als sie ihn getroffen hat. Aber warum? Was bezweckt er?
Mit einem Seufzer zieht sie ihr Buch aus der Ritze zwischen Bett und Wand, in die es gestern hineingerutscht ist. Ihre Finger tasten nach der Nachttischlampe, nach dem viel zu kleinen Schalter. Der Lichtkegel erhellt ihr Kopfkissen, daneben das düstere Cover ihres neuen Buches. Keine Schlaflektüre, hat ihr Vater gesagt, als er es ihr letzte Woche geschenkt hat. Egal, sie wird jetzt ohnehin nicht schlafen können. Schon wieder nicht.
MITTWOCH, 13. JUNI 2012
32
Die Sonnenbrille verdeckt zwar die roten Augen, doch die Müdigkeit selbst lässt sich nicht verleugnen: die trägen Bewegungen, die langsamen Antworten, die Lider, die sich wie von selbst im Unterricht schließen werden, sobald der Lehrer einen Moment seine Aufmerksamkeit einem anderen Schüler zuwendet. Warum hat sie ihr Buch nicht früher zur Seite gelegt? Weil sie Angst vor den Träumen hatte, die sie in letzter Zeit wieder vermehrt heimsuchen? Angst vor den Bildern, deretwegen sie so lange in Therapie gewesen ist und die sie nicht mehr in ihren Kopf lassen will? Sie sollte umdrehen, nach Hause gehen und sich ins Bett legen. Aber dann würde ihre Mutter unangenehme Fragen stellen. Also doch lieber Schule.
Vor dem Schulgebäude rennt Tabea auf sie zu und winkt hektisch. »Sina, beeil dich! Wir warten die ganze Zeit schon auf dich!«
Sina beschleunigt ihren Schritt. »Was ist los?«
»Ich habe Laureen und Bessy von der Liste erzählt und sie sind derselben Meinung wie ich: Wir müssen uns Céline schnappen.«
»Was? Jetzt?«
»Sofort«, antwortet Tabea.
Vergeblich versucht Sina, Tabeas Aktionismus zu folgen, scheitert jedoch an der Trägheit ihrer Gedanken. »Was hast du vor?«
»Wir passen Céline ab und fragen sie, was sie letzten Donnerstagabend gemacht hat.«
»Und dann?«
»Mann, Sina, denk doch mal mit«, braust Tabea auf, ehe sie ihre Stimme senkt. »Wenn sie checkt, dass wir Bescheid wissen, dann wird sie sich kaum noch trauen, Rik irgendwas anzutun.«
Sina nickt langsam. Natürlich. Selbst wenn sie Céline nichts beweisen konnten, sie würden ihr genug Angst einjagen, um sie von Frederik fernzuhalten.
»Also, komm schon, wir müssen sie erwischen, bevor sie bei den anderen ist.«
Tabea zieht Sina am Ärmel. Gemeinsam traben sie über den Schulhof zum Westtor, wo Laureen und Bessy lässig am Pfosten lehnen. Als Céline in den Schulhof einbiegt, springen Bessy und Laureen ihr in den Weg. Bessy greift zielstrebig nach dem Lenker, Laureen zerrt am Sattel, bis Céline die Füße auf den Boden stellt.
»Hey! Seid ihr verrückt?« Ihre Hände am Lenker, steht Céline wutentbrannt zwischen Laureen und Bessy.
»Wir nicht«, sagt Bessy spitz. »Aber du offenbar.«
Nervös nähert Sina sich den dreien, verlangsamt jedoch unter Célines zornigem Blick ihren Schritt.
»Lasst mein Rad los, sonst gibt es richtig Ärger, verstanden?«
»Hast du was gehört?«, fragt Bessy Laureen aufreizend langsam.
»Ich glaube, da hat ein Huhn gegackert«, antwortet Laureen, ohne eine Miene zu verziehen.
»Was soll das? Ist das eine neue Masche von euch?«
»Das wollte Sina dich gerade fragen.« Tabea steht jetzt direkt vor Céline. »Sie hätte da eine ganz bestimmte Frage an dich.« Mit einer ungeduldigen Bewegung winkt Tabea Sina zu sich.
Célines Gesichtsausdruck verändert sich. Wo sich eben noch Entrüstung in den Augen gespiegelt hat, macht sich jetzt Erkenntnis breit, der Mund verzieht sich zu einem spöttischen Grinsen.
»Ah, ich verstehe. Du bist beleidigt. Wegen des Spiels. Und da hast du dir deine neuen Freundinnen zur Verstärkung geholt. Wie mutig. Ich hab dich doch richtig eingeschätzt. Du bist eine aufgeblasene, feige Kuh!«, stößt sie hervor. »Rik hatte unrecht. Schade, dass er jetzt nicht da ist und live miterleben kann, wie sehr er sich in dir getäuscht hat.«
»Du findest das schade?«, fällt Tabea ihr ins Wort. »Wie seltsam, wo du ihn doch selbst ins Koma befördert hast.«
»Iiich?«, ruft Céline aus. »Spinnst du? Was habe ich damit zu tun?«
»Tüdeldüdeldüm.« Bessy spielt Luftgeige und grinst wissend.
»Céline«, singt Laureen, »die himmlische Unschuld.« Dann rüttelt sie am Sattel und giftet Céline an: »Tu nicht so scheinheilig. Wir wissen genau, dass du dich mit Rik vor seinem Unfall getroffen hast. Und wir wissen, dass du eifersüchtig auf Sina bist und Rik dich im Visier
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