Sei lieb und büße - Thriller
erlebt. Außer sich. Ich hab ihm gesagt, dass er aufhören soll, weil ich am allerwenigsten dafür kann und am meisten unter dieser Sache leide, und das hat er dann auch eingesehen und sich entschuldigt. Trotzdem war es schrecklich. Anstatt mir zu helfen, hat er die ganze Zeit nur darauf herumgeritten, wer die MMS alles sehen könnte und was das für mich und für ihn bedeutet und so weiter. Er hat überhaupt nicht mehr aufgehört und dabei wollte ich nur, dass er mich tröstet. So was sagt wie: Komm, Mimimops, reg dich nicht auf, da stehen wir drüber … Oder: Zu zweit schaffen wir das, in ein paar Wochen ist alles vergessen …
Und jetzt sitze ich hier alleine und stelle mir nach wie vor die Frage: Wer war es? Wer hat dieses Bild von mir gemacht? Rik glaubt – genau wie ich –, dass es ein Mädchen aus der Mannschaft war. Viele Orte, um so ein Foto zu machen, gibt es ja nicht.
Ich tippe auf Tabea. Ich weiß, dass sie auf Rik steht, seit sie nach Kranbach gezogen ist. Allerdings sind da auch noch Gabriele und Kathi, Riks heimlicher Fanklub. Das ist echt so peinlich, wie die sich aufführen. Als wäre Rik ein Megastar.
Bessy mag ja oft zickig bis zum Anschlag sein, aber sie ist cool. Sie lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, und wenn sie was sagt, ist das trocken und auf den Punkt. Richtiggehend erfrischend im Vergleich zu dem Gegacker der anderen. Auf jeden Fall ist sie nicht in Rik verknallt. Fällt also raus. Bleiben Tabea, Kathi und Gabriele. Und die Frage: Wären sie dazu fähig?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Wenn man so die Köpfe zusammensteckt, kann schon was richtig Fieses dabei rauskommen … Bringt mich aber auch nicht wirklich weiter. Ich weiß ohnehin nicht, ob ich wissen will, wer das getan hat. Ich will eigentlich gar nicht daran denken, sonst traue ich mich bald überhaupt nicht mehr raus. Ich laufe eh nur noch mit Ohrstöpseln und megalauter Musik rum, damit ich ja nicht höre, wenn jemand eine blöde Bemerkung macht. In der Klasse trauen sie sich zum Glück nicht, dazu bin ich zu beliebt.
Also bleibt mir im Prinzip nur eins: stillhalten. Denn wenn ich jetzt nachforsche und Anzeige erstatte, dann wirble ich bloß noch mehr Staub auf und lenke noch mehr Aufmerksamkeit darauf. Mir reicht schon, dass sie in der Schule das Bild zum Thema Nr. eins erklärt haben und die Lehrer in den Klassen darüber diskutieren, ob man so ein Foto weiterschicken darf oder nicht. (À la: Und heute reden wir über die arme Mia … Urgh!) Sie machen sogar Rollenspiele, wie man sich verhält, wenn man so was bekommt. Ist ja grundsätzlich gut, aber so weiß jetzt auch der letzte Schnarcher, was passiert ist, dabei möchte ich am liebsten alles einfach unter den Teppich kehren, mein Abi machen und abhauen. Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln, München, egal. Auf jeden Fall in eine Großstadt.
Aber so, wie ich Rik verstanden habe, wird er das nicht zulassen. Er will den oder die Verantwortlichen bestraft wissen.
Fast fünf Uhr.
Hinlegen hat jetzt auch keinen Sinn mehr.
Ich könnte mir noch mal Englisch ansehen. Oder Deutsch. Oder vielleicht doch noch eine Runde schlafen. Irgendwie komme ich plötzlich aus dem Gähnen nicht mehr raus.
DIENSTAG, 19. JUNI 2012
48
»Sina!« Das Ziehen und Rütteln wird stärker. »Sina!«
Sina schießt hoch. »Was? Wo?«
»Es ist gleich acht!«
»Was?« Hektisch springt sie aus dem Bett. »Verdammt! Warum hat der Wecker nicht geläutet?«
»Hat er mit Sicherheit«, sagt Ben und deutet auf die Anzeige. Die Weckzeit ist auf Viertel vor sieben eingestellt. »Geht es dir nicht gut?«
»Doch.«
»Aber –«
»Jetzt schwätz nicht, mach dich fertig! Los, hopp! In zehn Minuten ist Abflug!«
Sie schiebt Ben aus der Tür und zieht sich an. Unterwäsche, die Jeans vom Vortag, regenbogenfarbene Tunika. Im Bad fährt sie einmal mit der Bürste durch die Haare und bindet sie zu einem Zopf.
»Ordentlich putzen!«, weist sie Ben an und nimmt ihre Zahnbürste aus dem Becher. »So viel Zeit muss sein.«
»Isch pu-tsche o-lich«, schäumt es aus Bens Mund. Als er fertig ist, spritzt er sich noch eine Handvoll Wasser ins Gesicht.
Sina spült ihren Mund aus, wäscht ihr Gesicht und cremt sich ein, alles in weniger als zehn Sekunden. »Okay. Los.«
»Du hast Creme auf der Nase.«
Im Laufen verschmiert sie die restliche Creme. »Zieh schon mal die Schuhe an, ich schaue nur noch kurz nach Mama.«
Ihre Mutter liegt im Bett. Die Arme von sich gestreckt, die Augen geschlossen.
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