Sei lieb und büße - Thriller

Attacke gegen sie ist.
    Sinas Augen wandern über den letzten Kommentar. Von einer Viola. Ist doch egal, ob sie seine Freundin ist oder nicht. Wenigstens hat sie sich für Rik eingesetzt, als er Hilfe benötigt hat. Das ist das Einzige, was zählt. Und, liebe Céline, wenn ich mir deinen Kommentar so durchlese, klingst du wesentlich zickiger als diese Sina …
    Erfreut klickt Sina auf »Gefällt mir«. Dann setzt sie den Cursor in das Postingfeld, um einen neuen Eintrag zu verfassen. Sie schreibt ein paar Worte, spürt die Tränen, die sich ihren Weg nach oben bahnen, einen Kloß im Hals hinterlassen, ein Drücken in der Nase. Löscht. Schreibt. Liest. Korrigiert. Wischt Tränen von der Tastatur, schreibt weiter.
    Rik ist heute gestorben. Plötzlich und unerwartet, nur kurz nach seinem Erwachen. Ich habe gerade erfahren, dass er obduziert wird. Das wirft die Frage auf: Warum? Geht die Polizei davon aus, dass seinem Tod nachgeholfen wurde?
    Ich persönlich glaube, dass bereits der Unfall inszeniert war. Rik wusste etwas, was er als krass bezeichnet hat. Er wollte es an die Öffentlichkeit bringen. Vielleicht im Zusammenhang mit Mias Tod. Daher werfe ich jetzt einen Namen in die Runde. Cruella. Wer ist sie, was macht sie, was kann sie mit Mias Tod zu tun haben?
    Wenn ihr etwas wisst – meldet euch. Das schulden wir Rik.
    Sina schließt Facebook und fährt den Computer herunter. Was immer die Ärzte ihr im Krankenhaus gegeben haben, es macht sie müde und schlapp. Schlapp, aber nicht schläfrig. Sie legt sich ins Bett und angelt ihr Buch aus der Ritze. Liest. Denkt an Rik. Träumt. Liest. Einen Satz. Zwei Sätze. Fünf Sätze. Was hat sie gelesen? Sie blättert zurück. Liest den Absatz von vorn. Legt das Buch weg.
    Sie hätte den Eintrag nicht schreiben sollen. Definitiv. Sie muss aufstehen und ihn löschen. Obwohl, nein! Es ist die einzige Möglichkeit, die Wahrheit zu erfahren. Aber ist das so wichtig? Was ist überhaupt noch wichtig? Frederik ist tot. Er wird durch nichts wieder lebendig. Oder soll sie den Eintrag doch löschen? Ist er nicht zu dick aufgetragen? Immerhin ist es so was wie eine Mordanschuldigung. Und dann im selben Eintrag der Name Cruella – das könnte missverstanden werden. Als würde sie Cruella des Mordes an Rik bezichtigen.
    Sina setzt sich auf. Null Uhr achtundvierzig. Kann sie nicht endlich aufhören zu denken? Schlaf. Bitte endlich Schlaf. Sie steht auf und holt die Schlaftabletten ihrer Mutter aus dem Badezimmer. Eine? Zwei? Sie drückt zwei Tabletten aus der Silberfolie, steckt sie in den Mund, lässt kaltes Wasser in ihre Handflächen laufen und spült die Tabletten damit hinunter. Dann geht sie in ihr Bett zurück und rollt sich ein wie ein Baby. Gleich. Gleich wird sie aufhören zu denken. Gleich wird sich der Schlaf wie eine dunkle Decke über sie legen.
    47
    11.   Mai 2011, 3   Uhr morgens
    Noch zwei Tage Schule, dann beginnen die Prüfungen. Eigentlich sollte ich nichts anderes mehr im Kopf haben, aber ich kann mich nicht eine Minute auf den Stoff konzentrieren.
    Rik ist ausgetickt. Wie ich es vorhergesagt habe. Es war ja klar, dass er so reagiert. Nach dem Training hat ihm einer der anderen Spieler das Foto von mir unter die Nase gehalten und einen blöden Kommentar abgelassen. Und Rik hat ihm ohne nachzudenken eine verpasst und sie haben sich geprügelt und einen Tag Spielverbot bekommen. Dabei konnte der Typ ja nichts dafür. Er wusste schließlich nicht, dass ich Riks Freundin bin! (Und Rik hat es ihm auch nicht gesagt, er glaubt, sein Trainerjob wäre weg, wenn das mit mir rauskommt. Er hat nur gesagt, dass ich zu seiner Schulmannschaft gehöre.) In drei Wochen habe ich mein Abi in der Tasche, dann kann keiner mehr was sagen – wenn dieses verfluchte Foto nicht wäre.
    Dabei war es oft so schwer, sich zurückzuhalten. An unserem Zweimonatsabend zum Beispiel, als wir im Glanzlicht waren. Rik hat die ganze Zeit unter dem Tisch mit mir gefüßelt und während der Vorstellung haben wir heimlich Händchen gehalten, aber richtig romantisch war es erst, als wir bei ihm zu Hause waren. Und trotzdem war es ein total schöner Abend. Gerade weil wir so heimlich tun mussten. Ich weiß noch, wie ich einen hysterischen Kicheranfall bekommen habe, als plötzlich Tabea und Bessy ins Lokal marschiert sind. Ich glaube nicht, dass sie uns gesehen haben. Sie saßen vorne an der Bühne und Rik und ich am letzten Tisch ganz hinten.
    Aber jetzt ist alles anders …
    Ich habe Rik noch nie so