Sei lieb und büße - Thriller
gemacht.«
»Nicht die Schwester heute. Die von gestern Abend.«
»Aber Sina, hör doch nicht auf so was! Was weiß die Schwester von gestern Abend denn schon … Da hat Frederik ja noch gelebt.« Ihre Mutter reicht ihr die Tasse. »Trink den Tee aus. Er wird kalt.«
Gehorsam schlürft Sina den restlichen Tee. Er schmeckt noch bitterer als zuvor.
»Jetzt hör mir bitte genau zu.« Ihre Mutter nimmt ihr die Tasse ab und stellt sie auf den Tisch. »Woran Frederik auch immer gestorben ist, es hat nichts, ich wiederhole, nichts mit dir zu tun.«
»Das sagst du nur, um mich zu –«
»Nein, das sage ich, weil es stimmt. Frederiks Leiche wird untersucht. Eine Autopsie. Als ich auf dich gewartet habe, habe ich ein Telefonat mitbekommen. Im Schwesternzimmer hat jemand mit der Kripo telefoniert. Ich glaube kaum, dass bei jedem Todesfall im Krankenhaus die Kripo eingeschaltet wird. Mit dir wollen sie auch noch sprechen. Ich denke, wegen deines Besuchs gestern Abend. Anscheinend warst du die letzte Person, die ihn gesehen hat – von der Nachtschwester einmal abgesehen.«
»Kripo?«, flüstert Sina. »Heißt das … Du meinst …«
»Ja. Es geht sicher um Mordverdacht. Offenbar glaubt jemand, dass bei Frederiks Tod nachgeholfen wurde.«
Sina schließt abermals die Augen. Und jetzt? Soll sie ihrer Mutter sagen, dass sie schon bei dem Unfall ein merkwürdiges Gefühl hatte? Dass sie nicht zur Polizei gegangen ist, weil ihr Verdacht zu abwegig schien? Weil sie keine Beweise hatte? Was, wenn ihn wirklich jemand getötet hat? Hätte sie ihn beschützen können, wenn sie ihren Mund aufgemacht hätte, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, ob er für sie so empfand wie sie für ihn und ob er seinen früheren Freundinnen untreu gewesen war? Wie nebensächlich und banal das jetzt alles scheint. Egoistische, kleinliche Gedanken, zu peinlich, um sie ihrer Mutter zu offenbaren.
»Ruh dich jetzt aus, Schätzchen. Bleib einfach liegen.« Ihre Mutter erhebt sich. »Ich hole Ben ab und dann koche ich uns etwas Leckeres zu Abend und hinterher schauen wir uns gemeinsam einen Film an. In Ordnung?«
Sina nickt, ohne die Augen zu öffnen. »Danke, Mama.«
Der Film könnte ebenso gut auf Chinesisch sein. Sie bekommt nichts mit. Bilder, die an ihren Augen vorbeiflattern wie Zugvögel, Dialoge, die ihr Ohr streifen, aber nicht zu ihr vordringen. Ihre Gedanken sind bei Frederik. Bei seinem Tod. Bei der Autopsie. Der Ermittlung. Sie wird dem Kommissar alles erzählen. Von dem Date und dem Unfall und Céline und Riks Notiz und Max und Mia und dem verschollenen Tagebuch. Sie wird einen weiteren Eintrag auf Facebook posten und Riks Freunde auffordern, sich Gedanken zu machen, wer diese Cruella sein könnte. Sie scheint der Schlüssel zu allem zu sein, schließlich hat Frederik ihr die Schuld für Mias Tod gegeben. Und sie wird seine Freunde auffordern, zu überlegen, wer Frederiks Feinde waren. Falls er welche hatte. Aber sie muss es extrem vorsichtig formulieren. Sie darf niemanden beschuldigen. Auch Céline nicht. Nur fragen. Zum Nachdenken anregen. Dem Täter Angst machen, falls er mitliest.
»Ich bin müde. Ich geh ins Bett.«
»Gut. Möchtest du noch einen Tee?« Ihre Mutter schaut sie besorgt an. »Kopf hoch, Liebes. Glaub mir, die Zeit ist jetzt dein bester Freund.«
Sina ringt sich ein Lächeln ab. »Gute Nacht.«
In ihrem Zimmer nimmt sie ihren Laptop mit ins Bett und ruft Facebook auf. Sie geht direkt zu Frederiks Pinnwand. Unter ihrem letzten Eintrag haben sich neue Kommentare angesammelt. Berichte über Rik. Wie krank er aussah. Wie bleich und schwach. Fragen und Vermutungen. Ob er je wieder spielen kann. Dass er für den Rest der Saison mit Sicherheit ausfallen wird. Dass dies das Ende seiner Bundesligakarriere bedeuten kann. Dass er wichtige Klausuren versäumt. Wer nun eigentlich diese Sina sei. Warum sie sich für Rik so ins Zeug legt. Seine neue Freundin? Möchtegernfreundin, schreibt Céline. Wahrscheinlich hat er sie nach einem guten Spiel gelobt und jetzt bildet sie sich ein, dass sie sein Liebling ist. Zickt rum und spielt sich auf, als wäre sie die wichtigste Person in seinem Leben. Dabei kennt sie ihn kaum. Sie ist erst vor ein paar Monaten nach Kranbach gezogen. Sie ist in Riks Mädchenmannschaft und sicherlich NICHT seine Freundin. Genauso wenig, wie ich das je gewesen bin, auch wenn Sina meint, besser über mich Bescheid zu wissen als ich selbst.
Danke, Céline. Wenn das nicht der Auftakt zu einer weiteren
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