Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Saal saßen, schaffte einmal nur Marcel Reich-Ranicki, als er 2008 bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, Aug’ in Aug’ mit talentlosen weiblichen und männlichen TV-Kanal-Arbeitern, über den zur Wahl stehenden versendeten Schund lamentierte und den ihm zugedachten Preis fürs Lebenswerk dankend ablehnte: »Ich kann nur diesen Gegenstand, der hier verschiedenen Leuten überreicht wurde, von mir werfen oder jemandem vor die Füße werfen.«
Doch wie es sich für einen gebildeten Feuerkopf gehört, der sich seine Meinung nicht durch Fakten kaputt machen lässt, hatte er das, worüber er so zornig herzog, noch nie gesehen. Die an jenem Abend gezeigten Ausschnitte reichten ihm für ein Pauschalurteil. Für Reich-Ranicki ist es gute, wahre, schöne Unterhaltung, wenn Arte oder 3sat möglichst täglich Literaturverfilmungen senden. Das kann man zwar
sehen wie er, ist jedoch fern einer Sendewelt, in der Zoten und Quoten regieren. Seit das Privatfernsehen in Deutschland zu senden begann, geht es nicht mehr um Qualität, sondern um Quote. Falls beides zusammenfällt, prima. Falls nicht, fällt die Qualität eben flach.Wer die Doofen erreichen will, muss mehr können, als über sie zu lachen.
Das Privileg nimmt die Oberschicht für sich in Anspruch. Um ihre Schadenfreude zu befriedigen, sagen sie von oben herab, würden sie sich gelegentlich mal Frauen suchende Bauern anschauen und von Würmern beladene Altblondinen im Dschungelcamp und gepiercte Teenager im Container und pubertierende Kichererbsen im Alter zwischen vierzehn und vierundzwanzig, getrieben von der Gier, als Supermodel berühmt zu werden und dafür jede Hemmung abzulegen bis auf die Unterwäsche.
Die gängige Erklärung, man schaue sich den Schrott nur an, um sich an der Dummheit der anderen zu weiden, ist nicht glaubhaft. Diese Kritiker des schlechten Geschmacks wissen einfach zu viel über Situationen, die sie als verblödet beschreiben, als dass ihre Erkenntnisse von nur seltenen Abstechern in eine Bauern- oder Adelsversteigerung herrührten. Grundsätzlich werde eh am liebsten »madig gemacht, was komisch ist«, kontert der Arzt und Komödiant Eckart von Hirschhausen, der nebenbei auch noch als komisch geltende Bücher schrieb und damit Bestsellerautor wurde.
Also muss es Mitglieder der Blödgemeinschaft Deutschland geben, die sich nach außen als unheimlich Kluge tarnen, doch heimlich ähnlich primitive Bedürfnisse haben wie die prolligen Armeen, gegen die sie geistreich ankämpfen. Der einzige Unterschied: So blöd, sich zu offenbaren oder sich gar für ein Casting zu melden, so doof sind die stillen Teilhaber nicht. Sie würden nie auf die Idee kommen, sich die RTL-Show Zehn Jahre jünger anzuschauen, wo nach
dem Prinzip Vorher-Nachher ungewaschene, ungekämmte, Badelatschen und schlabbernde Leggings tragende Unterschichtler so lange gestylt werden, bis aus ihnen menschenähnliche Wesen geworden sind und sogar die eigenen Lebensabschnittspartner vor ihnen fremdeln.
Komisch nur, dass die Klugen darüber witzeln können, obwohl sie diese Verjüngungskur, die deshalb prollig ist, weil ausschließlich Prolos mitmachen dürfen, nie gesehen haben. Das Format ist ein ehrliches Angebot für die Zielgruppe. Da sehen viele für immer so aus, wie die Gezeigten vorher aussahen – und wahrscheinlich bald wieder aussehen, wenn die von RTL wieder abgereist sind. Die ARD dagegen schämte sich zwar nicht, eine sogenannte Style-Show mit einem radebrechenden Typberater namens Bruce Darnell ins Programm zu nehmen, weil man dem seichten Wahn verfallen war, damit jüngere Zuschauer zu gewinnen.Vergaß aber dabei, dass die Zuschauer, die sie erreichen wollte, solche Blödheiten längst besser besetzt und besser gemacht in ihren eigenen Bedürfnisanstalten zur freien Auswahl hatten und nie auf die Idee kamen, ins Erste umzuschalten.
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist qua Staatsvertrag verpflichtet, aufzuklären, zu informieren, zu unterhalten: »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten.« In den Bestimmungen steht also nichts von einem Planziel, das per Quote zu erreichen ist.Verankert ist Kulturgut, nicht Leergut. Mit den ihnen von den Gebührenzahlern zur Verfügung gestellten Etats soll vorrangig Qualität produziert werden, wodurch sich die Zuschauer fortbilden lassen zu denkenden, wissenden, heiteren
Weitere Kostenlose Bücher