Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Arena lagen oder bereits die Löwen deren Reste verdauten. Brot und Spiele waren schon damals die beiden Grundbedürfnisse des Volkes, heute würde man Panem et Circenses (ein wenig Latein für die eigentliche Zielgruppe von Arte und 3sat muss schon mal erlaubt sein) in die Neuzeit beispielsweise übertragen als ALG 2 und RTL 2.
Ein einzelner Mensch, beispielsweise einer, der über die wachsende Verblödung der Deutschen ein Buch schreibt, ist ein bedauernswertes armes Schwein, weil er bei stündlich wachsenden Depressionen beim Anblick der als »Unterhaltung« getarnten Formate von Mittag bis Mitternacht auf fast allen Kanälen einfach überfordert ist. Da treten Menschen auf, die entweder gebeutelt sind von allen Schrecknissen des Lebens – drückende Schulden, schwangere Teenager ohne Schulabschluss, arbeitslos und mit den Raten für den Flachbildschirm in Rückstand, Pferdeschwanz, gar keinen Schwanz, Hängebusen, gar keinen Busen, Schweißfüße – oder aber von den Betreibern dieser Talkshow-Verschnitte, die sich intern Redakteure nennen, auf solche Schicksale eingeschworen wurden.
Letzteres liegt oft näher. Die Konkurrenz vor allem am
Nachmittag ist hart, die Themen sind austauschbar und abgegrast, also muss man erst einmal neue erfinden, nach einem vielleicht doch noch nicht gebrochenen Tabu forschen und erst dann den darauf passenden Fall suchen. Falls es den nicht gibt, weil es das Thema als Problem nicht gibt, hilft nur Falschspiel. Stefan Raab: »Früher saßen in den Nachmittagsshows reale Personen, heute sind das Schauspieler oder solche, die sich dafür halten.«
Manche Lügen, mit denen angeblich zufällig auf der Straße entdeckte Betroffene vorgeführt werden, haben nicht die berühmten kurzen, sondern offene Beine. Es gibt ihn tatsächlich, jenen Kölner Arbeitslosen, der insgesamt siebenmal als Gebeutelter auftrat und einmal die besagten offenen Beine, nicht mehr heilbar nach einem Behandlungsfehler, betroffen in Nahaufnahmen zeigte.Vom Maskenbildner waren sie zwar draufgemalt worden, aber das durfte er aufgrund einer gegen ihn erlassenen einstweiligen Verfügung nicht behaupten, als er aufflog und dann für ein letztes Honorar in einer Rundfunksendung auspacken wollte.
Es blubbern noch nicht ausgeschöpfte Tümpel im Seichtgebiet. Man könnte den besten Bordellbetreiber suchen, die leitenden Herren würden bestimmt mitmachen und dann Freudenhaus gegen Freudenhaus in verschiedenen Stellungen antreten lassen. Quote und Dauererektion bei der männlichen Zielgruppe wären garantiert. Man könnte die besten Tricks wählen lassen, mit denen man vom Staat doppelte Beihilfen erschleicht. Das wäre ein auf die Zielgruppe perfekt zugeschnittenes Format. Oder man könnte im Osten die besten Baumärkte suchen lassen samt Krönung des begabtesten Düblers, oder man könnte die härtesten Zugbegleiter küren, denen kein Weg zu weit ist, auf den sie ein Kind jagen würden, das seinen Fahrausweis vergessen hat.
Wenn es etwas mit Anspruch sein darf und deshalb besser
zu ARD und ZDF passen würde als zu den als Schaumschläger geborenen Seichtsendern, sollte man sich derart auch aktuellen politischen, gesellschaftlich relevanten Themen und Gruppen nähern. Gewählt wird dabei, nach genauer Recherche in den Kellern, in denen faule Papiere verrotten, und nachdem die Vorstände in einer Bütt ihre Sünden gebeichtet haben, die Bank, die verstaatlicht und so gerettet werden soll. Die Verlierer müssten Insolvenz anmelden, ihre Manager die Bonuszahlungen an Amnesty International spenden und außerdem mit ihren Frauen einkaufen gehen.
Schwieriger würde es werden, die ebenfalls in dem Zusammenhang naheliegende Idee für ein Konzept unter dem Titel »Wer WAR Millionär?« fernsehgerecht umzusetzen. Allerdings ließe sich in den Archiven von ARD und ZDF etwas Fernsehgerechtes finden. Eine Variante von Robert Lembkes einst berühmtem Ratespiel Was bin ich? böte sich an: Fünf Kandidaten werden gegrillt, dürfen auf Fragen des Moderators – Hans-Olaf Henkel? – nur mit Nein oder Ja antworten, und erst am Schluss wird enthüllt, wer mal reich war und heute von Hartz IV leben muss.
Bleiben wir in der Realität.
Die muss beurteilt werden.
Soll sich der Mensch, der ein armes Schwein ist, siehe Seite 47, in der freiwillig gewählten Rolle als Juror nur für einen einzigen Sender entscheiden? Oder nur für ein ganz bestimmtes Format? Lieber den dünnflüssigen Inhalt wiegen oder ausschließlich die Performance
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