Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
nicht nach draußen dringen lassen, sondern durch feinen Humor verbergen. Komödianten haben erkannt, dass die Welt ein Jammertal ist und nur dann zu ertragen, wenn man diese Erkenntnis tief im Inneren für sich behält und sie nach außen gelassen verlacht. Sie sind deshalb begabt mit Ironie, beflügelt von Esprit und zur Not auch getragen von Zynismus, was sie gegen mitunter anfallende Depressionen schützt.
Oliver Polak ist so ein trauriger Komödiant der heiteren Art, als Deutschlands einziger »jüdischer Stand-up-Komödiant« wird er gelobt. Wenn er bewusst geschmacklos böse Witze macht über die Ermordung von Millionen Juden durch die Nazis, dürfen deren Nachgeborene alle lachen, nur er lacht eben doch nicht mit. »Ich bin Jude, ich darf das«, ist seine lakonische Begründung für politisch unkorrekte Scherze, die anderen zu gewagt erscheinen, und das stellt er bei seinen Bühnenauftritten auch live unter Beweis. »Lassen Sie uns«, sagt er liebend gern gemein zum Beginn, »heute Abend eine Vereinbarung treffen. Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust, und Sie verzeihen uns Michel Friedman.«
Im Gegensatz zu tödlich geistreichen Witzen wie denen von Oliver Polak brauchen durchschnittlich begabte deutsche Comedians zum Erfolg nur ihr einfaches Gemüt und ihren simplen Verstand. Man dürfe bitte aber auch nicht verschweigen, kontert dieses Vorurteil der mit Ironie ausgestattete Komödiant Michael Mittermeier, dass vom gehobenen
deutschen Feuilleton meist nur jene Komödianten gelobt werden, die »nachts um 3.37 Uhr im Fernsehen gezeigt werden und eine Handvoll Zuschauer erreichen. Die Nichtbeachtung ist dann ein Maßstab, um es toll zu finden.«
Womit er auch wieder recht hat.
Selbst dann, wenn Comedians in Wirklichkeit mitunter doch so klug wären wie Komödianten, sind sie gut beraten, diese Eigenart bei ihren Menschenversammlungen zu unterdrücken. Denn würden sie ihre Auftritte mit geistreichem Witz würzen und nicht die Hallen des Volkes mit armseligen Witzen füllen, wäre ihnen das verstörte Schweigen ihrer Lämmer gewiss. Die könnten sich fortan anderen Hirten zuwenden, und die vom Volk Verlassenen müssten sich fortan mit Gastspielen auf Kleinbühnen der Provinz über Wasser halten. Das ist aller Ehren wert, aber zu ernten gibt es da nun mal nicht so viel wie auf den großen Bühnen.
Das englische Wort »Comedian« richtig aussprechen können inzwischen sogar jene, die bereits mit der deutschen Sprache ihre Schwierigkeiten haben. Sie haben es ja oft genug gehört. Barth gilt zwar vom Hörensagen als Comedian, ist aber auf gut Deutsch gesagt ein übler Scherzunhold.Weil seine Scherze von Übel sind, hat er ein großes Publikum. Was bereits durchschnittlich intelligente Menschen fassungslos aufschreien lässt, finden Blöde, die er um sich schart, zum Schreien komisch. Sie verlieren ihre letzten Hemmungen, wenn König Mario sie auf seinen Reisen durchs Land heimsucht oder wenn er via Haus-Blödsender direkt zu ihnen ins Wohnzimmer kommt. Um Geschmacklosigkeiten, getarnt als Humor, erleben zu können, mussten die Blöden früher weite Wege in Kauf nehmen, damit sie Volkshelden der Barth-Art aus der Nähe erleben konnten. Heute genügen ihnen ein paar Schritte zur Couch und der Daumen auf der Fernbedienung, und schon fühlen sie sich zu Hause wohl in ihrer Welt.
Das ist ein riesiger Fortschritt.
Oder etwa nicht?
Barth hat geschafft, was Alchimisten vergebens versuchten: Er hat aus Scheiße Gold gemacht.
In seinen eigenen Worten: »Wie geil is’n dit?«
Seine Frage: »Willst du mit mir ins Bett gehen?«, gerichtet ans nicht nur unter Umständen, sondern grundsätzlich allzeit bereit wirkende weibliche Publikum in einem RTL-Studio, ist überraschenderweise zwar nicht ernst gemeint, aber sie wird ernst genommen. Die Befragten denken nicht erst lange nach, was ihnen wahrscheinlich schwerfallen dürfte, sondern sagen spontan Ja, richten sich schon mal halb auf, falls es gleich live zur Sache gehen sollte. So weit geht es natürlich – noch? – nicht, es war tatsächlich nur ein Scherz.
Mario Barth führt die Erwählte, deren Augen feucht glitzern, zu einem Doppelbett auf der Bühne, verhindert gerade noch, dass sie seine gleichfalls witzig gemeinte Bemerkung, die Schuhe dürfe sie anbehalten, ernst nimmt und alles andere ablegt, schlüpft unter die Decke neben die erregt Giggernde, reicht ihr Mettwurstkugeln, was auch immer das sein mag, schenkt Schaumwein ein, den er zu Champagner
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