Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
wahrscheinlich nicht mal erlaubt. Die Frage dagegen, wer seinen Platz als eine moralische politische Instanz in Deutschland einnehmen könnte, wenn sich Helmut Schmidt dereinst mit Willy Brandt und Herbert Wehner und Rainer Barzel trifft, ist erlaubt.
Bleibt allerdings unbeantwortet.
Es fehlen nämlich die Kandidaten.
Helmut Schmidt darf nie sterben.
KAPITEL IV
Little Monster Horror Schools
A ls sie von einem Neunjährigen gefragt wird, ob sie gestern gut gefickt worden sei, woraufhin seine Mitschülerinnen und Mitschüler der dritten Klasse zu kichern beginnen, weiß die junge Lehrerin, es dürfte mal wieder einer jener Tage werden, an deren Ende sie nur noch eine Migräne umarmt. Eine Schulstunde, die so beginnt, ist nicht mehr zu retten. Zwar ahnt der Kleine mit den vorstehenden Zähnen, dass dies irgendetwas sein muss, was nur die Größeren tun. Doch welche Tätigkeit nun genau mit dem Wort beschrieben wird, das er in seiner Frage benutzte, weiß er natürlich nicht.
Zu Hause hat er es aber schon oft gehört. Morgen-Grauen dieser Art, konfrontiert mit dem, was im Einzugsbereich ihrer Lehranstalt aktuell den elterlichen Dialog am Abend davor geprägt hat, sind weder für sie noch für ihre gleichaltrigen Kollegen an Grundschulen die Ausnahmen. Schon lange nicht mehr. Solche Momente stehen in keinem Stundenplan, und solche zu meistern ist sie beim Studium nie gelehrt worden. Sie musste sich deshalb eine passende eigene Strategie ausdenken, um mit derartigen Situationen fertig zu werden, denn Gespräche mit älteren Lehrerinnen und Lehrern, um dort Rat zu finden, halfen nicht weiter.Von denen haben viele resigniert.
Zu viele zählen allenfalls noch frustgeplagt die Jahre, bis
sie sich so früh wie irgend möglich in den Ruhestand zurückziehen können, vermitteln so lange nur noch pflichtschuldig den im Lehrplan vorgeschriebenen Stoff, um ihren vorgesetzten Behörden keine Angriffsflächen zu bieten. Die ganz Jungen, die noch unverbraucht sind und Kraft hätten zum Widerstand, schauen sich das alles fassungslos an und beschließen nach kurzer Zeit, sich für höhere Schulformen zu bewerben, statt am Bodensatz der Gesellschaft Pionierarbeit zu leisten.
Es ist vielen Lehrern egal, ob sie ihre Schüler noch erreichen oder nicht, es ist zu vielen von ihnen egal, ob die noch etwas lernen oder nicht. Sie sind ausgebrannt, fühlen sich ausgenutzt, engagieren sich nicht mehr. Seit viele dank moderner Technik auch noch im Netz von anonym bleibenden Rufmördern attackiert werden, zum Beispiel unter www.schulradar.de , ohne sich konkret wehren zu können, während viele andere Kollegen sich im anonymen Online-Lob sonnen, gibt es auch untereinander keine alle schützende Solidarität mehr. Die einstige Leidenschaft für den Beruf, für den sie sich heißen Herzens berufen fühlten, ist auf dem Schulhof beerdigt worden. Grabreden waren im Lärm der klingelnden Handys nicht zu verstehen.
Ist das Beispiel der Lehrerin, deren Intimsphäre am frühen Morgen vor Unterrichtsbeginn hinterfragt wird, nur deshalb als Einstieg gewählt, um möglichst hautnah die These zu belegen, dass die seit Jahren täglich versendete Verblödung via TV aus deutschen Schulen des künftigen Lebens Little Horror Shops gemacht hat, bevölkert von vielen kleinen Monstern?
Nein, ist nicht so.
Vielerorts geht es so zu wie beschrieben. Die Empörungsschwelle jedoch ist mittlerweile zu hoch, als dass alltägliche Verstöße gegen Benehmen und Anstand noch registriert
werden. Vergleichbar etwa, nicht in der Wirkung, aber typisch für abgestumpfte Wahrnehmungen – und dieser Vergleich kommt nicht mal von ungefähr, sondern von daher -, einem Überfall von rechtsradikalen Dumpfbacken auf Fremde und Andersdenkende.Was im Übrigen kein nur deutsches Phänomen mehr ist, sondern ebenso in Österreich passiert und, aufnehmend die Stimmung der Straße, sich in der Schweiz bei einer staatstragenden Partei wie der SVP in Stimmen niederschlägt. Entsprechende Volksbegehren immerhin werden dort von einer aufgeklärten bürgerlichen Mehrheit bisher noch stets niedergestimmt.
In Deutschland werden längst nicht mehr alle Überfälle von rechtsradikalen Jugendlichen in den Zeitungen vermeldet. Man hat sich daran gewöhnt, so wie sich Lehrer an ihre Monster gewöhnen mussten. Der Bodensatz an gewaltbereiten Einfaltspinseln wird als Preis der Freiheit hingenommen, die schließlich für alle gilt, also auch für ihre Gegner. Der Rückzug des
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