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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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schon ob der Frage, persönlich kenne er sie gar nicht.
    Eine Mindestquote mit den »Superstars« Bohlen und Klum ist den Sendern RTL und ProSieben bereits vor jeder Ausstrahlung einer Staffel sicher, die liegt da schon höher als die Endzahlen der Konkurrenz. Ihre Pflege des Leergutes hat zwar einen hohen Preis, aber sie spielen die Gagen locker wieder rein.
    Aber auch die anderen Deutschen, ebenfalls viele Millionen, die nur mit dem Kopf schütteln beim Auftrieb der skandierenden Kopflosen, haben ihre Helden. Selbst die sind sich nicht nur selbstgenügend. Sie würden selbstverständlich ihre Heroes nicht Helden nennen, das wäre ihnen peinlich. Ihre Bewunderung drücken sie nicht in Sprechchören aus, sondern sprechen lieber von tief empfundenem Respekt, lesen die Worte ihres Helden nach in den Büchern oder Artikeln, die er unentwegt schreibt und dabei ähnlich gnadenlos wie die obengenannten anderen, aber mit Substanz über andere herzieht, die nicht seinen Vorstellungen entsprechen.
    Der Mann ist neunzig, schwerhörig, auf einen Stock angewiesen und heißt Helmut Schmidt. Für einen politischen Wettbewerb, in diesem Fall treffender als Wahlen zu bezeichnen, hätte er trotz seiner Gebrechen wahrscheinlich keine
Konkurrenz zu fürchten. Was ihm wohl egal wäre. Eigentlich ist ihm fast alles egal, vor allem das, was andere von ihm halten oder wie sie auf das reagieren, was er über sie sagt und über sie schreibt. Deshalb ist Helmut Schmidt bei Alten und bei Jungen so populär. Überschneidungen mit denen aus den Seichtgebieten sind nicht zu befürchten. Der Ex-Kanzler erreicht das lesende deutsche Bürgertum, dem liest er regelmäßig, knurrend und paffend, die Leviten und sagt unverblümt, was er von ihm hält. Manchmal viel, manchmal weniger. Er schöpft aus einem anderen Wortschatz als auf der anderen Seite des Mondes Dieter Bohlen, von dem er, das ist anzunehmen, noch nie auch nur Notiz genommen hat. Aber er ist dabei so rücksichtslos ehrlich wie der. Niemand aus seiner jungen Gemeinde würde es je wagen, seine Performance geil zu nennen, aber als einen coolen Typen empfinden sie ihn schon.
    Der kühle Volksaufklärer wird nicht geliebt, sondern verehrt. Geliebt zu werden würde er sich auch streng verbieten. Er träumt nicht von einer besseren Welt; bekanntlich empfahl er einst allen, die von Visionen geplagt sind, einen guten Arzt aufzusuchen. Er glaubt nicht an Gott und ein Leben nach dem Tod, aber bevor ihn der ereilt, wovor er selbstverständlich nicht bereit ist Angst zu haben, rammt er in grimmiger Lust noch ein paar Wegweiser in die ihm seit Jahrzehnten vertrauten, aber längst verleideten Seichtgebiete der Politik, der Wirtschaft.
    Dabei verschont er mit seiner moralischen Grundhaltung weder Freund noch Feind, gibt dabei von sich nur so viel preis, wie es der Sache dient.Annäherungen lehnt er grundsätzlich ab, weil ihm Nähe suspekt ist. Dass sich ihm Sandra Maischberger für eine Nahaufnahme im Fernsehen nähern durfte, dass er sich bei Reinhold Beckmann fast alle Fragen gefallen ließ, einmal sogar gerührt antwortete statt zurückzuknurren,
dass er sich jahrelang »Auf eine Zigarette« Woche für Woche mit Giovanni di Lorenzo zum »Zeit«-Gespräch in seinem Herausgeber-Büro bereiterklärte, ist mit der Milde seiner späten Jahre zu erklären. Eigentlich sind ihm die Wegelagerer des Gewerbes, zu dem er als Herausgeber der »Zeit« ja selbst schon lange gehört, von Herzen zuwider.
    Zwischen dem Superstar der Blöden, Mario Barth, und dem der Klugen, Helmut Schmidt, liegen Welten. Miteinander vergleichbare Eigenheiten oder Eigenschaften gibt es nicht.Was nicht bedeutet, dass Deppen etwa kein natürliches Recht hätten, sich ihnen gemäße Helden auszuwählen, so wie Kluge sich abgrenzend beanspruchen, ein eigenes Vorbild zu haben.
    Sich aufs Jenseits zu konzentrieren, wo dann sichergestellt sein dürfte, dass Blöde und nicht so Blöde durch eine kleine Ewigkeit voneinander getrennt sind, wo die einen Hosianna singen müssen und die anderen im Chor »Wir woll’n, wir woll’n runter«, weil sie die himmlische Ruhe da oben nicht ertragen, ist nicht wirklich ein Trost. Bis es so weit ist, kann es noch lange dauern, und außerdem, sagt Helmut Schmidt, ist es eher zweifelhaft, ob es ein Leben nach dem Tod überhaupt gibt, er jedenfalls glaube nicht daran.
    Solche wilden Vorstellungen von einer besseren anderen Welt sind diesseits von Gut und Böse und selbstverständlich unangebracht,

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