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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Staates allerdings aus ländlichen Regionen vor allem im nahen deutschen Osten gibt Rattenfängern alle gewünschten Freiheiten, sich im Leerraum niederzulassen und beim Leergut Nester einzurichten. Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sind angeblich dreißig Prozent von 45 000 befragten Jugendlichen aus neunten Klassen, also meist 15- bis 16-jährige Schüler, der Meinung, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben. Und rund zweieinhalbtausend von ihnen in rechtsextremen Gruppen und Kameradschaften organisiert, mehr als in den demokratischen Parteien.
    Alarm?
    Dass es zu viele sind, ist unbestritten. Aber dennoch hinkt der Vergleich des Instituts mit demokratischen Jugendorganisationen von Parteien, Kirchen, Sozialverbänden. Mitglieder bei CDU, SPD, FDP und Grünen sind mehr als 200 000
junge Erwachsene zwischen 14 und 35 Jahren, bei den Katholiken sind es 650 000, und die Evangelische Jugend nennt sogar eine Zahl von 1,2 Millionen.
    Weil es bei Erlebnissen wie jenen, die der oben erwähnten Lehrerin X in ihrem Klassenzimmer fast täglich widerfahren, nicht um talkshowträchtige Schulen der Gewalt in Problemvierteln von Berlin, Dresden, Duisburg, Frankfurt geht oder gar um singulär schreckliche und allen hilflosen Versuchen der Deutung zum Trotz unerklärliche Ereignisse wie den Amoklauf eines Siebzehnjährigen in der beschaulichen Kleinstadt Winnenden in Baden-Württemberg, sondern wie bei den Neonazis um den Teil eines inzwischen als normal empfundenen Alltags, wird dies achselzuckend abgehakt als nicht zu ändernde deutsche Realität. Schließlich handele es sich doch immer noch um Kinder, und dass die in den ersten Schuljahren noch nicht wissen könnten, was sie tun oder was sie daherreden, sei doch verständlich.
    Oder etwa nicht?
    Aber genau da, in den Grundschulen der Nation, fängt es an. Genau da wird bereits Leergut gestapelt, das viele Jahre später die staatlichen Sammelstellen entgegennehmen müssen, wofür dann Pfand in Form von ALG 2 bezahlt wird, was wiederum die aufregt, die sich zuvor nie ums Leergut gekümmert haben. Kinder aber sind kein Leergut, egal, wie hoffnungslos leer ihre Köpfe auch schon zu sein scheinen. Man könnte sie füllen. Mit Wissen. Mit Zuneigung. Mit Hoffnung. Mit Träumen. Mit Wissen.
    Man könnte.
    Aber man tut es nicht.
    Ist es eh zu spät?
    Zu viele Grundschulen, in denen grundsätzlich die Reisen zu jenen fernen Horizonten und das damit verbundene spannende Abenteuer namens Lernen beginnen sollten, in
denen einst die Grundsteine gelegt wurden für die folgenden Schuljahre, sind abgeschrieben. Und damit auch die meisten, die dort eingeschult wurden. Die Formel:Verblödete Eltern plus blöd gehaltene Kinder plus frustrierte Lehrer = zukünftiges verblödetes Prekariat, ist so einfach aufgestellt zwar nur vereinfachend blöde.
    Aber kommt der Realität oft verdammt nahe.
    Die Eltern von der Sonnenseite, die sich bei verschiedenen vorschulischen Informationsveranstaltungen kundig gemacht haben, bevor sie sich entscheiden, welche der Anstalten mal gut genug ist für ihr Kind, scheuen keine weiten Wege. Sie nehmen nicht die nächstbeste Grundschule, sondern die beste, egal, wie weit entfernt die von ihrer Wohnung auch sein mag. Und wenn ihnen selbst die beste nicht genug ist, melden sie ihre Kinder auf Privatschulen an, die mit inzwischen fast 700 000 Zöglingen einen ähnlichen Boom erleben wie Billigmärkte, wo sich die Unterschicht trifft.
    Letzteres nicht etwa, weil es dort so schön ist, sondern weil wegen Wirtschaftskrise, steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Einkommen die günstigen Angebote, an denen sich aber auch Mittel- und Oberschicht erfreuen, für sie nicht nur Lebens-, sondern auch Überlebensmittel sind.Vorübergehend erlebte Marktführer Lidl einen Extra-Boom, weil seine Stammkundschaft darauf hoffte, bei ihren Einkäufen fürs Fernsehen entdeckt zu werden.Als die von Überwachungskameras aufgezeichneten Alltagsszenen gelöscht werden mussten, es also nichts mehr werden konnte mit einer Karriere bei Super RTL, gingen sie wieder zu Aldi.
    Die Schere zwischen Arm und Reich, auch die zwischen nicht ganz so Arm und nicht ganz so Reich, zwischen denen, die von ihrer Arbeit leben können, und denen, die keine haben und keine Hoffnung, irgendwann wieder eine
zu bekommen, weil sie das nicht können, was gebraucht wird, weil sie es nie gelernt haben, öffnet sich immer weiter. Das ist bekannt. Nicht so bekannt ist, dass

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