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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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ein eigenes Fernsehgerät besitzen, pflegen sie diese Bindungen meist ohne den sie dabei störenden Einfluss ihrer Eltern. Sie lassen sich lieber von ihren Lieblingen
erziehen als von den lieben Eltern.Auf ihrer Werteskala steht zwar nicht einer der üblichen Blödmacher oben, sondern der öffentlich-rechtliche Kinderkanal KiKa, aber das verändert sich, je älter sie werden. Dann werden hauptsächlich Super RTL und RTL und RTL 2 und ProSieben eingeschaltet, weil man bei denen mitmachen, etwas gewinnen, sich für irgendein Casting bewerben kann. Das ZDF liegt im Ranking vor Sat.1, aber die ARD noch dahinter.
    Was so gesehen nach einem knappen Rennen aussieht, schlägt sich in Antworten auf die Frage, ob sie einen Lieblingssender haben, jedoch anders nieder. Das Rennen um die Gunst der Jugendlichen ist längst entschieden: Die als Garanten des Seriösen geltenden ARD und ZDF laufen abgeschlagen auf den letzten Plätzen ihren Zielgruppen hinterher. Marktführer Super RTL wird von 21 Prozent der Mädchen und 23 Prozent der Jungen eingeschaltet, das ZDF von drei bzw. zwei Prozent, die ARD erreicht bei Mädchen wie Jungen gleich geringe zwei Prozent.
    Die Forscher untersuchen das Verhältnis der jungen Deutschen in dieser Altersgruppe zu Medien, Computer und Internet seit zehn Jahren. Sie können deshalb Entwicklungen in deren Verhalten präzise aufzeigen. Um dennoch mehr zu erfahren als das, was ihnen die befragten Kinder und Jugendlichen diktieren, haben sie stets parallel dazu auch deren Erzieher mit einem schriftlichen Fragebogen konfrontiert. Meist waren es die Mütter, die geantwortet haben. Die Forscher können somit vergleichen, was die einen behaupten und was die anderen angeben. Dass Gameboys,Videospiele, Computer eine große Rolle spielen, ist ebenfalls nicht verwunderlich. Die Nachfrage stieg in den vergangenen zehn Jahren entsprechend dem Angebot, was logisch ist.
    Und es sank die Zahl derer, ebenfalls logisch, die in ihrer Freizeit lieber lesen: Der Anteil der Nichtleser, wie es in der
Studie heißt, lag 2008 bei einem Sechstel der Befragten. In absoluten Zahlen ausgedrückt entspricht das einer stattlichen Masse von rund 950 000 Kindern und Jugendlichen. Sie ist gestiegen von 420 000 (2005) über 640 000 (2006) auf diese erschreckende Höhe. Die meisten der Nichtleser sind Jungen. Diese Zahlen können selbstverständlich auch positiv interpretiert werden. Immerhin lesen noch über fünf Millionen Jungdeutsche gelegentlich oder sogar öfter ein Buch. Die Frage, ob die Bücher, die sie lesen, tatsächlich im klassischen Sinne auch Bücher sind oder zum Beispiel nur als Bücher verkaufte Biografien ihrer Superstar-Lieblinge, wurde nicht gestellt.
    Die Lehrerin, die anfangs von ihrem Schulalltag erzählt hat, unterrichtet in einem der alten Bundesländer hoch oben im Norden, und sie hat Vorgänge wie die am Beginn ihrer Morgenstunde über Jahre hinweg aufgeschrieben. Sie spricht nur für sich, doch aus vielen Gesprächen, Telefonaten, Begegnungen weiß sie, dass es anderen ebenso ergeht wie ihr. Zwar gibt es für sie immer noch Erlebnisse der berührenden Art, wenn sich Kinder zu ihr flüchten, Rat und Trost und Verständnis bei ihr suchen – ansonsten hätte sie sich längst schon umschulen lassen.
    Aber solche Glücksmomente einer Lehrerin, für die sie einst den Beruf so liebte, sind seltener geworden. Manche Notrufe der Sprachlosen erreichen sie per SMS. Dann simst sie sofort zurück. Auch das gehört heutzutage zum Kontakt zwischen Lehrern und Schülern. Wer von denen ohne Handy ist, muss wirklich arm sein.
    Grob geschätzt besitzt bereits die Hälfte aller Schüler zwischen sechs und dreizehn Jahren – und das wären immerhin dann drei Millionen Mädchen und Jungen – ein eigenes Handy. Und sie benutzen es nicht nur zum Telefonieren oder Simsen, sondern zum Fotografieren oder um Filmchen
zu drehen. Was zu oft auf dem Display zu sehen ist, hätte man früher als nicht jugendfrei bezeichnet.
    Als einer Zweitklässlerin, also einer Achtjährigen, von ihrer Berliner Lehrerin verboten wurde, ihr Handy während des Unterrichts eingeschaltet zu lassen, wehrte sich das kleine Mädchen. Sie benutze es ja nicht, könne aber gleich hören und sehen, falls eine SMS ankomme. Außerdem würde es die anderen ja nicht stören, sie wolle gar nicht telefonieren, nur ab und an mal ein Spiel machen, wenn es ihr zu langweilig werde im Unterricht.
    Einem Jungen aus der Nebenklasse, ebenfalls acht Jahre alt, wird das

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