Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
wirksame Idee. Die auftaucht aus der Erinnerung an eigene Schulzeiten. Aufmerksame Lehrer könnten die Idee aber grundsätzlich mal aufgreifen und umsetzen in eine selbstverständlich nur verbale Attacke. Überraschend vor der versammelten Schülerschaft erklären, warum gewalttätige Mobber nichts weiter sind als blöde Mitläufer und verklemmte Feiglinge, dass es morgen schon die treffen kann, die heute glauben, bei den Stärkeren zu sein. Und sie könnten unmissverständlich klarmachen, dass sie zukünftig jeden einzelnen Fall mit genau jener rücksichtslosen Härte verfolgen, mit der die Opfer verfolgt würden. Außerdem würden bei jedem einzelnen Fall, ohne Gnade zu gewähren, sowohl das Schulamt als auch die Eltern informiert.
An ihrem Ende der gesellschaftlichen Skala reagieren die vom Prekariat genau wie die der Oberschicht mit Verboten, um durchzusetzen, was sie für Erziehung halten. Die Oberen schicken Widerspenstige zwecks Zähmung auf Internate oder streichen ihnen das Taschengeld. Die Unteren erziehen durch Entziehen, indem sie ihren Sprösslingen deren TV-Lieblinge sperren oder den Gameboy wegnehmen.
Oder aber sie reagieren mit gnadenloser Härte.
Nach den Herbstferien kam in einer Grundschule in Nordrhein-Westfalen ein kleiner Junge mit vereiterten, offenen Knöcheln an beiden Händen in die Schule. Seiner entsetzten Lehrerin erklärte er, Mama habe ihm die Hände
auf den heißen Herd gedrückt, damit er nicht mehr da dran gehe. Die Lehrerin schlug bei der Fürsorge Alarm, und die kümmerte sich auch, was ja nicht immer so ist, sofort um den Fall. Die befragte Mutter, die fünf Kinder hat von vier verschiedenen Männern, war erstaunt, dass man sich darüber aufregen würde, die Methode sei doch erfolgreich gewesen. So habe es ihr Sohn doch endlich begriffen.
Als ein Klassenlehrer bei einem der an sich seltenen Besuche eines echten leiblichen Vaters bei einem Elternabend an einer sächsischen Schule berichtete, dass dessen Sohn und zwei weitere Zehnjährige per Handy auf der Schultoilette eigenen Aussagen zufolge einen Porno drehen wollten, was ein Vierter mitbekommen und ihm sofort ganz aufgeregt gemeldet habe, woraufhin er die drei vor der Klotür erwartet und zur Rede gestellt habe, meinte jener Vater voller Empörung, so was könne sein Sohn nur aus dem Fernsehen erfahren haben, von ihm habe der das ganz bestimmt nicht. Sei eh alles Scheiße, was die dort zeigten. Dieser Radetzky habe völlig recht.
Welcher Radetzky?, fragte der verblüffte Lehrer.
Na ja, der da, der sich so aufgeregt hat über den Mist, der immer gesendet wird.
Gemeint war Marcel Reich-Ranicki, und der naheliegende Vorschlag des Lehrers, in Zukunft seinen Zehnjährigen nicht jeden »Scheiß« anschauen zu lassen, wurde zurückgewiesen. Dann müssten er und seine Frau ja auch verzichten. Schließlich schliefen die Kinder im Wohnzimmer, wo der Apparat stehe.
Der Pädagoge gab nicht auf, obwohl er es dabei hätte bewenden lassen können. War schließlich nicht sein Problem. Und wenn Eltern kein Problem darin erkennen wollten, dass es vielleicht nicht dem normalen Verhalten von Kindern entspricht, wenn sie vor ihrem elften Geburtstag bereits das
drehen, was ihre Erzeuger nachts anschauen, dann ist denen eben nicht zu helfen.
Doch den Kindern wollte er versuchen zu helfen. Er redete mit ihnen. Hörte ihnen zu.Was die drei Jungs verblüffte, weil sie das von zu Hause nicht kannten. Da lief immer der Fernsehapparat, und man hörte eigentlich nur denen zu, die dort auftraten.Wenn sie dabei störten, bekamen sie eine gelangt.
Weil sie sich schämten, was ihn rührte, bat sie der Lehrer, auf einem Blatt Papier aufzuschreiben, wie es gewesen sei auf dem Schulklo. Dann würden sie alle darüber reden können, und keiner müsste sich mehr schämen.
Peter schrieb: »Ich musste mal, und da waren Kevin und Leo und spielten Porno. Sie fragten, ob ich mitspielen wollte. Ich habe gesagt, ich weiß nicht, wie das Spiel geht. Sie haben es mir erklärt. Da habe ich Nein gesagt. Dann haben sie mich ausgelacht und geschubst. Und haben gesagt, du machst das wohl lieber mit deiner Mutter. Da habe ich geweint und bin weggelaufen.«
Leo schrieb: »Der Kevin hat gesagt, dass er das schon mal mit einer Achtjährigen gemacht hat. Ich sollte das mit meinem Handy alles aufnehmen. Mehr habe ich nicht gemacht.«
Kevin schrieb:«Eigentlich wollte ich das gar nicht. Aber der Leo hat mich überredet. Der hat das alles dann gedreht. Ich habe es dann
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