Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Aktivitäten sind sie mit ihren Kindern dann hektisch unterwegs, anstatt sie lieber mal stressfrei und ohne Zielvorgaben spielen zu lassen. Der niedersächsische Familientherapeut Wolfgang Bergmann, dem die Thesen der Bestseller-Propheten Bernhard Bueb (»Lob der Disziplin«) und Michael Winterhoff (»Warum unsere Kinder Tyrannen werden«) viel zu autoritär und simpel sind,
glaubt dagegen, dass ausgerechnet die Oberschichteltern, die vorgeblich nur das Beste für ihre Kinder wollen, in der Erziehung versagen: »Viele Mütter hetzen mit ihrem Nachwuchs von einem Termin zum nächsten«, wetterte er in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«, dabei sei nun wirklich nicht jeder Termin wichtig. »Würden sie weniger hetzen, so hätten sie und ihre Familie viel mehr Spaß. Ein Kind kann uns zu dieser Ruhe verlocken. Ein spielendes Kind berührt doch das Herz, oder nicht?«
Früher entzogen sich Kinder, wann immer es ging, ihren Müttern und eroberten sich ihre eigene Welt. Sie spielten unbeaufsichtigt auf der Straße, im Park, im Wald die Abenteuer des Lebens nach, von denen sie bislang gelesen hatten. Heute lauern dort, wie sie aus dem Fernsehen schließlich wissen, tödliche Gefahren – wild rasende Autofahrer, als Onkel getarnte Päderasten, diebstahlgestählte Jugendbanden.
Die Kinder des Prekariats spielen sich stattdessen bei Bohlen und Co. auf, und wenn man sie nicht mitspielen lässt, weil die Konkurrenz der Blöden zu groß ist, spielen sie sich in der Schule so auf, wie es ihnen im Fernsehen vorgesetzt wurde. Gier, Schadenfreude, Ruhmsucht, Gewalt sind ihre ständigen Begleiter.Was die nicht können, die in der ersten Runde einer Castingshow rausfliegen, das kann ich zwar auch nicht – singen, tanzen -, aber wenn die trotzdem im Fernsehen gezeigt werden, kann ich kleiner Depp es auch mal versuchen. Oder aber sie adaptieren für ihre kindliche Welt die bei der Suche nach Germany’s Next Topmodel , dem König des Dschungelcamps , dem Superstar etc. vorgeführten Demütigungen.
In der Welt der Erwachsenen sind Demütigungen als »Mobbing« zum festen Begriff geworden. Bei Kindern gibt es das längst auch. Die müssen sich früh entscheiden, ob sie lieber Täter sein wollen oder Opfer. Ein Opfer ist allein,
wer es mobbt, ist nicht allein. Schwer zu erraten, wie sich die Mehrheit entscheidet? Wenn die Zahl stimmt, von der Pädagogenverbände ausgehen, werden an deutschen Schulen rund 500 000 Kinder und Jugendliche von ihren Mitschülern gemobbt. Täglich. Das würde bedeuten: Es ist in jeder Schulklasse mindestens ein Kind betroffen. Und zwar verteilt auf alle Schulen – Grundschulen wie Hauptschulen, Realschulen wie Gymnasien.
Die Lehrer, die das abtun mit der Bemerkung, so etwas hätte es immer schon gegeben, sind in der Tat fahrlässig dumm und machen sich deshalb mitschuldig, wenn das ausgewählte Opfer, meist unter den Kleinsten zwischen acht und vierzehn, am Mobbing zerbricht. Das übrigens, und auch das ist typisch für die zynische Sprache der Mitleidlosen, nicht bei seinem Namen, sondern bei den Hetzjagden einfach nur »Opfer« genannt wird.
Dem muss man gar nicht mal mehr ins Auge sehen auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer. Cyberbulling ist angesagt. Was bedeutet, dass virtuell attackiert wird, online auf dem Computer oder per SMS und Foto auf dem Handy. Wie in der Szene der Rechtsradikalen fühlen sich die Angreifer nur als Gruppe stark. Und ihre Gruppe ist die Klassengemeinschaft. Die hat sich eine oder einen als Opfer ausgesucht, und wenn es endlich herauskommt, wenn endlich eines der Opfer nicht mehr alles erduldet aus Angst, als Petzer zu gelten, ist es für die Seelen der Betroffenen meist zu spät.Viele brauchen therapeutische Behandlung.
Hilfreicher wäre ein überraschender Gegenschlag. Einen Größeren, einen Stärkeren, den Anführer des mobbenden Mobs direkt und mit aller Härte zu attackieren genau dann, wenn er sich seines Sieges mal wieder sicher glaubt. Also zwischen die Beine zu treten, was aus bestimmten Gründen wehtut und nachhaltige Wirkungen hat, oder die Faust ins
Gesicht zu setzen. Aus der Rolle des Opfers schlagartig in die des Täters wechseln, was die Täter zutiefst verstört. Diese Verstörung hält sogar an.Weil sie nie mehr sicher sein können, erneut so behandelt zu werden.
Die Methoden des Gegners adaptieren darf man unter moralischen Aspekten natürlich nicht. Da würde man sich ja selbst ins Unrecht setzen. Ist nur eine spontane, unmoralische,
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