Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Grimme-Preisträger von 3sat auf. Gert Scobel räuspert sich, zupft an seinem Jackett und spricht nach einem abfälligen Blick auf Bohlen und Barth und Co. in die Kamera:
»Ich begrüße Sie, meine verehrten Zuschauer, zu dieser frühen Stunde des jungen Tages bei einem Ereignis, das einmalig ist in der Geschichte des Parlaments. Ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages beginnt in wenigen Minuten mit der Anhörung von geladenen Zeugen und Gutachtern. In den kommenden Tagen soll untersucht werden, warum jahrelang versäumt wurde, rechtzeitig etwas gegen die Verblödung der Deutschen zu unternehmen, und wer für diesen Skandal und dessen Vertuschung verantwortlich ist: Politiker der rot-grünen oder die der jetzigen Regierung. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, basierend auf einer Repräsentativumfrage unter allen Deutschen ab vierzehn Jahren, ist die allgemeine Verblödung inzwischen so angewachsen, dass sie die Demokratie gefährden könnte. Ein erschreckendes Ergebnis, das über alle Parteigrenzen hinweg eine Zweidrittelmehrheit der Parlamentarier bewogen hat, diesen Ausschuss einzuberufen, um die Schuldfrage zu klären. Wir werden in Abänderung unseres Programms die Beweisaufnahme live übertragen und...«
In diesem Moment ertönt lautes Klingeln. Automatisch greifen alle im Saal Versammelten zu ihren Handys. Nur Scobel nicht. Der hat bereits geortet, woher das Geräusch
kam, und dreht sich missbilligend um in Richtung Podium, lächelt aber, als er den Mann erkennt, der gewagt hatte, ihn zu unterbrechen, und nickt dem Minister zu. Der nickt zurück. Sie kennen sich. Bernd Neumann hält in seiner rechten Hand eine jener kleinen Glocken, wie sie bei Fraktionssitzungen des Bundestages benutzt werden, wenn die Tagesordnung aufgerufen wird.Vorsitzender Neumann gibt mit einem letzten Bimmeln den Saaldienern ein Zeichen, dass es jetzt ernst wird, dass der Untersuchungsausschuss mit der Befragung beginnen will, und legt dann die Schelle hin.
Die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung drängen daraufhin alle Fotografen aus dem Raum und schließen hinter ihnen die Türen. Drei Kamerateams dürfen im Saal bleiben. Die von 3sat, die von Phoenix, aber erstaunlicherweise auch die von RTL, obwohl der Kölner Sender noch nie, weder als Aufzeichnung noch gar live, von einer Debatte berichtet hat, in der es um Kultur statt um die beim Sender angelegten Kulturen ging. Die Begründung für diese Kulturrevolution, einen in der Tat revolutionären Vorgang, einen geradezu sensationellen Bruch mit der Tradition des Marktführers, den Blöden zu garantieren, dass sie bei ihm stets eine warme Herberge finden, gibt RTL-Chefin Anke Schäferkordt, die nervös darauf wartet, in den Zeugenstand gerufen zu werden: So viele Superstars, auch die von der Konkurrenz, bekäme sie so günstig für umme nie wieder in ihr Programm.
Sie sind tatsächlich alle da. Überlebende Königinnen und Könige der bereits versendeten Dschungelcamps. Ihnen ist beim Empfang ein großes rotes Schild mit Vor- und Nachnamen um den Hals gehängt worden. Eine gute Idee. Andernfalls hätten die Teams von 3sat und Arte keinen der zwar den Blöden bekannten, aber ihnen total fremden C-Prominenten aus dem Urwald wahrgenommen. Hätten womöglich Ingrid van Bergen mit Nicoletta Schwanz oder
Bata Illic verwechselt. In der Südecke des Saales tauschen flüsternd die Sat.1-Richter Barbara Salesch und Alexander Hold Urteile im Namen des von ihnen vertreten Volkes aus, weil sich zwar ihre Fälle gleichen, ihr Publikum intelligenzmäßig das gleiche, aber eben nicht dasselbe ist.
Außerdem im mittlerweile hellen Sonnenlicht zu erkennen: Cindy aus Marzahn, die hierher in den Berliner Reichstag mit der S-Bahn gefahren ist, um von den Bemerkungen der früh am Morgen wie üblich vor sich hin grummelnden Unterschicht ein paar Anregungen für künftige Auftritte zu bekommen. Die ins Nirgendwo lächelnde Frauke Ludowig steht verloren da, während die just wieder von irgendeinem jüngeren Mann getrennte Birgit Schrowange auf Inka Bause einredet. Ob es um einen frei laufenden Großbauern im richtigen Alter geht? Andy Borg, Hansi Hinterseer, Florian Silbereisen sowie eine Schar namenloser Köche und Friseure, die nur einem harten Kern von Allesguckern bekannt sind, haben beide Frauen umringt und hören ihnen aufmerksam kichernd zu.
Der ranghöchste Saaldiener, auszumachen an drei Streifen auf der rechten Schulterklappe, bittet jetzt die Anwesenden,
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