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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Handbewegungen zum Beispiel. Ab und zu fasst er sich prüfend in den Schritt und nickt dann zufrieden. Daran hängt er, denn davon hängt bei ihm viel ab. Es sind nicht nur gewöhnungsbedürftige Manieren, die der Superstar-Scharfrichter selbstverständlich zur Schau stellt, denn schlechtes Benehmen gehört gerade hier und heute selbstverständlich zum guten Ton. Das haben zur Abwechslung mal nicht die Fans
bei ihren Stars, sondern die bei ihnen abgekupfert. Der Griff unter die Gürtellinie ist Dieter Bohlen eine Herzensangelegenheit, gleichsam hält er so eines seiner wesentlichen Prinzipien fest umklammert, das da heißt, ein Mann müsse in allen Lebenslagen Stehvermögen beweisen.
    Viele würden ja glauben, spricht er zu den anwesenden Vertretern der vierten Gewalt, die jedes seiner Worte begierig aufnehmen, viele würden ja glauben, dass jedermann mit Deutschland sucht den Superstar so schnell Erfolg bekomme wie ein Dreizehnjähriger »seinen Pimmel hochbekommt. Wer das glaubt, wird leider auch merken, dass diese Latte so schnell vergeht wie bei einem Fünfundsiebzigjährigen«, denn letztendlich gebe es nur einen einzigen Weg zum Erfolg, und der heiße Arbeit, Arbeit, Arbeit.
    Klartext. So klar kann es nur einer sagen, der in sich ruht und auf sich steht und weiß, was das Volk gerade noch so versteht. Sowohl der dreizehnjährige Enkel als auch sein fünfundsiebzigjähriger Großvater, beide aus unterschiedlichen Gründen verblödet, begreifen sein handfestes Beispiel als eine der vier, fünf Weisheiten des Lebens, die für alle Schichten gelten. Zumindest für die sich darin bewegenden Männer.
    Hinter Bohlen umarmen sich zwei aus seiner so umschriebenen Arbeitswelt, geben sich Küsschen auf die Wangen. Sie blicken dabei anmaßend auffordernd, als müsse jeder sie kennen, zumindest schon mal gesehen haben, bevor Heerscharen von Erschreckten einst erschrocken in ein anderes Programm zappten. Es handelt sich, wie ein sachkundiger Reporter vom »Gong« versichert, dabei um die Moderatoren Oliver Geissen und Bärbel Schäfer, die auch als Ehefrau von Michel Friedman bekannt sei. Aus den Küsschen dürfe nichts Zweideutiges geschlossen werden, denn es sei eindeutig so, dass sich in der hier anwesenden Branche
alle andauernd irgendwohin küssen, ohne sich dabei groß was zu denken. Weil er dabei die Wörter »groß« und »denken« gebraucht, wirkt seine Erklärung glaubhaft.
    Die beiden Fernsehschaffenden haben sich aus strategischen Gründen in Dieter Bohlens Nähe zur Schau gestellt. Wo der auftritt, fällt von seinem Schein immer genügend ab auf Nebendarsteller. Weil sich aber in dem Moment, als Schäfer und Geissen einander umarmen und so tun, als hätten sie seit Jahren keinen körperlichen Kontakt mehr gehabt, alle Fotografen von Bohlen und damit automatisch auch von ihnen abwenden und stattdessen auf Mario Barth stürzen, der mit dem Ausruf, es sei ja trotz der frühen Stunde schon eine supergeile Stimmung hier, den Saal betritt, achtet niemand mehr auf ihre Inszenierung. Nur die Sonne, die mittlerweile den ganzen Raum erobert hat, ist noch ihr Zeuge. Deshalb stoßen sie zwischen einzelnen Küsschen ein paar spitze, nach Lust klingende Schreie aus, bis sich ein Kameramann von Tele 5 ihrer erbarmt und draufhält. Das freut sie. Sie kriegen nicht mit, dass er dabei leise einen Kabelträger fragt, um wen es sich bei diesem Paar denn handle. Der klärt ihn auf.
    Sofort schwenkt er wieder zum Eingang.
    Dort herrscht erneut Gedränge. Heidi Klum und Katarina Witt gönnen sich, Zahnreihen strahlend gefletscht, gegenseitig den Vortritt nicht.Was Sat.1-Star Oliver Pocher, der hinter ihnen warten musste, mit der ironischen Bemerkung kommentiert: »Wie einst Kriemhild und Brünhild im Dom zu Worms am Rhein«, womit er seine klassische Bildung unterstreicht, die er in der Late Night Show bei Harald Schmidt unter dessen Scheffel hatte stellen müssen. Er stößt den neben ihm stehenden Dirk Bach aufmunternd in die Seite. Der quiekt erregt und drückt mit einem einzigen Stoß seines Bauches die beiden Frauen als deutsche Einheit durch die Tür.
    Dass unbemerkt von Fotografen und Fernsehteams mittlerweile Bernd Neumann, amtierender Staatsminister für Kultur und Medien, in der Mitte des halbrunden Podiums an der Südseite des Saales Platz genommen hat, dass links und rechts von ihm einige verstört wirkende Damen und Herren, alle hochgeschlossen mit Bluse und Krawatte, auf ihren Stühlen herumrutschen, fällt nur einem

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