Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
prominenten Kunden als Star. Zu denen zählten mal die verblichenen Unsterblichen Romy Schneider und Hildegard Knef und zählen noch die gelegentlich bei ihm in Berlin landenden lebenden Legenden.
In Hollywood, wo Coiffeure schon seit Jahren wie Stars behandelt und gehandelt werden, wäre seine Karriere ein Stoff, aus dem Filme geschneidert werden. So bereits 1975 geschehen mit Kollege Vidal Sassoon, den Warren Beatty in Shampoo verkörperte. Hierzulande reicht es bei Friseuren allenfalls zu dem, was inzwischen Bücher genannt wird. »Haargenau. Mein Leben für die Schönen« oder »Mein Berlin«, Ghostwriter im Preis inbegriffen, lauten die Walz-Titel. Sein Bekanntheitsgrad, schrieb die »Frankfurter Rundschau«
in einem Porträt des gebürtigen Schwaben, entspreche etwa dem des deutschen Schäferhundes. Er beißt aber nicht, verbellt niemanden, scheut keine, wirklich keine Kamera und hat für alle, die ihn irgendwas fragen, eine Antwort parat. Im Berliner Lokalsender 91!4 ist er mit seinen unfrisierten Gedanken live täglich um 8.40 Uhr präsent und kämmt dabei wie selbstverständlich auch alle aktuellen politischen Themen durch.
Unstrittig ist, dass Walz über ein Paar goldene Händchen verfügt. Die handwerklichen Fähigkeiten des Barbiers werden als hohe Kunst gepriesen, der Lockenwickler wird als Kunsthandwerker bewundert. Ihm vertrauen deshalb auch Berühmte aus Medien und Politik ihr Bestes an.
Ihre Köpfe.
Es war deshalb Udo Walz, der Angela Merkel den Kopf gewaschen und aus ihrer regionalen Topffrisur einen internationalen Topschnitt geformt hat. Der steht ihr gut und lässt die Kanzlerin selbst dann noch sichtlich jünger aussehen, wenn sie nach haarsträubenden Nachtsitzungen gegen diesen oder jenen europäischen Machozwerg mit müde herabhängenden Mundwinkeln vor die Öffentlichkeit treten muss.Von daher darf sich der Friseur zu den Beratern der Mächtigen zählen, und von daher zählt Udo Walz zur Berliner Gesellschaft.
Im Regierenden Bürgermeister der Metropole, die seit vielen Jahren proletig laut berlinerisch angibt, eine Weltstadt zu sein wie London, Paris, New York, Rom, inzwischen tatsächlich in dieser Liga mitspielen darf und ernst genommen wird, hat die hauptstädtische Society einen zu ihr passenden Repräsentanten. In keiner anderen deutschen Stadt vermischten sich die von unten und die von oben so lange miteinander eng tümelnd, bis natürliche Unterschiede nicht mehr erkennbar waren.
Dagegen erfährt in Hamburg, wo hinter den weißen Mauern der Stadtvillen auch manches Leben tobt, selbst die von »Bild« hemmungslos informierte Öffentlichkeit kaum etwas aus der eigentlichen hanseatischen Gesellschaft. Die bleibt lieber unter sich, also oben. Dass sich die feinen Herrschaften vor Jahren mal gemein machten mit der Unterschicht aus den Randbezirken und einem populistischen Blödmacher ihre Stimmen gaben, ist ihnen inzwischen so peinlich wie die einstige Hitler-Hingabe ihrer Väter und Mütter, Großmütter und Großväter.
Was gesellschaftlich in der Geldmetropole Frankfurt passierte, hat jenseits des Mains noch nie jemanden wirklich interessiert. Seit ihre Türme wackeln, seit in den Gewölben faule Papiere verrotten, seit sie in des Kaisers neuen Kleidern bloßgestellt wurden, halten sich die meisten Banker dort sogar bei ihren Heimspielen bedeckt. Köln braucht keine Gesellschaft, in der Domstadt genügt ein gesellschaftlich relevanter Klüngel. Königin in Düsseldorf ist Gabriele Henkel, die zu ihren legendären Festen aus Politik, Kultur, Industrie und Wissenschaft nur diejenigen einlud, die ihren eigenen Ansprüchen genügten. Kopflose Blöde, egal, wie hoch angesiedelt oder prominent sie waren, mussten draußen bleiben. Hannover war trotz Gerhard Schröder gesellschaftlich keiner Rede wert, bis sich der amtierende Ministerpräsident und einer der besten Steuerzahler Niedersachsens als Gesellschaftslöwen entpuppten, weil sie in der Mitte des Lebens die Lieben wechselten.
In München, Hauptstadt der sich auf Seichtgebieten Bewegenden, Heimat der journalistisch irrelevanten, aber gesellschaftlich höchst relevanten »Bunten«, der Mutter aller Klatschmagazine, des erfolgreichen, oft kopierten, jedoch nie erreichten Pflichtblatts aller, die entweder zu einer Gesellschaft gehören oder wissen wollen, wer zu ihr gehört,
ging es stets so klassenlos locker zu wie jetzt an der Spree. Zur Society an der Isar gehörten seit jeher bunte Junge und graue Alte, und die tauschten in
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