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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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geküsst, wann immer sie vorbeischwebten. So tolerant beschwingt ging es einst zu, als Richard Tauber der König von Berlin war, und deshalb nannte man die Zwanzigerjahre in Berlin rückblickend die goldenen. Gemessen an ihren Ansprüchen ans Dasein empfanden das viele Proleten ebenso. Bessere Zeiten kamen für beide Schichten bis heute nicht mehr.
    Die Kultur einer bürgerlichen Gesellschaft, und nicht nur die in Berlin, ist von den Nazis vernichtet worden. Die jüdischen deutschen Bürger, die eine gewachsene Gesellschaft der Gebildeten bildeten, wurden im Namen ihrer christlichen deutschen Nachbarn, die bis zu Hitlers Machtergreifung so liebend gern bei ihnen zu Gast waren und sich blendend unterhielten, in den Gaskammern ermordet oder in
die Emigration verjagt. Das Ende einer Kulturnation begann im März 1933.
    Spürbar ist dieser Kulturbruch bis heute. Dem Bürgertum fehlen Generationen von Bürgern. Für die kluge Autorin Evelyn Roll von der »Süddeutschen Zeitung« war Berlin nach der Wiedervereinigung eine Stadt, in der »auf beiden Seiten so gut wie nichts übrig geblieben war« von dem, was einst die Berliner Gesellschaft als extraordinär ausgezeichnet hatte: »Die Nationalsozialisten hatten die jüdischen Intellektuellen, das Großbürgertum, die alteingesessenen Familien, die Mäzene [...] vertrieben oder ermordet. Nach dem Krieg erledigten die neuen Herren den Rest. Die Kommunisten im Ostteil kappten alles, was noch da war, auf das Niveau der berufslosen Funktionäre im Politbüro herunter.«
    Die Lücken sind anscheinend wieder gefüllt. Die Quote derer, die sich zur Berliner Gesellschaft rechnen, ist hoch. Aber ihre Qualität entspricht nicht der Quote. Es gibt mehr Ordinäre als Extraordinäre. Udo Walz, der Sympathieträger, ist symptomatisch dafür, wie sich die Koordinaten im einst gültigen System verschoben haben. Lässt sich doch an seinem gesellschaftlichen Aufstieg aus der ehrenhaften handwerklichen Unterschicht und an seinem erreichten Status in der Oberschicht aufs Gemeinste fein belegen, warum in der Society, die ihn hofiert und der er zu Diensten ist, zu viele nur bedingt gesellschaftsfähig sind.
    Einer derer, die von unten nach oben aufstiegen, ist auch Klaus Wowereit. Er kommt aus Verhältnissen, die man einst in Westberlin freundlich umschrieb als einfache, die in Ostberlin aber Voraussetzungen für einen Aufstieg in der angeblich klassenlosen Gesellschaft waren. Geborene Bürgerkinder wurden fast ausnahmslos gesellschaftlich ausgegrenzt und ihrer beruflichen Chancen beraubt. Gregor Gysi hatte zu seinem Glück die Gnade der zufällig dennoch richtigen
Geburt auf seiner Seite, denn sein Vater gehörte als Kulturminister zur kommunistischen Elite des Staates. Er und seine Familie waren für die Funktionäre unangreifbar, obwohl sie geradezu klassische Vertreter des verfemten Bürgertums waren. Im jüdischen Großbürgertum der Weltstadt Berlin hätten sie einst eine hervorragende Rolle gespielt.
    Die Schicht, zu der Wowereit mal gehörte, wird heutzutage als Prekariat bezeichnet. Zwanzig Prozent der Berliner, im Osten wie im Westen, sind in dieser Gesellschaft, um zu überleben, auf das angewiesen, was beschönigend von Staats wegen Sozialtransfers heißt. Der Regierende ist dieser Schicht entwachsen, aber er spricht ihre Sprache, kennt das Milieu, ist stolz darauf, dass er es geschafft hat, obwohl er ohne Vater mit vier Geschwistern groß wurde. »Als Jüngster musste ich früh lernen, mich zu behaupten. Obwohl wir bescheiden lebten, konnte ich als Erster aus meiner Familie aufs Gymnasium gehen und danach studieren. Das war nur möglich, weil die sozialdemokratische Bildungspolitik unter Willy Brandt auch Kindern aus ärmeren Elternhäusern diese Chance bot und weil die ganze Familie zusammenhielt.«
    Er hat sich willensstark aus eigener Kraft hochgearbeitet und in der traditionell spießbürgerlichen Berliner SPD durchgeboxt, bewegt sich, und auch das ist gut so, in besseren Kreisen der Stadt inzwischen wie der Fisch im Wasser, als sei dieses Aquarium immer schon sein Bassin gewesen. Seit der kundige Opernliebhaber, den sie oben wie unten Wowi nennen, zusätzlich für die Kultur und die dort zu verteilenden Subventionen verantwortlich ist, müssen ihn auch die in ihre Nachtgebete einschließen, denen er lange von ihrer hohen Warte aus als nicht gesellschaftsfähig galt, obwohl im Zweifelsfall er ihnen die Arie hätte vorsingen können.
    Seine Wurzeln hat er nie verleugnet. Er

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