Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
gegenüber einer in Indien geborenen britischen Big-Brother -Konkurrentin mit rassistischen Äußerungen auffiel, die allerdings ihren Fans aus dem Herzen sprachen, flog sie über Nacht aus der Show. Ihre Beleidigungen, bei denen sie sich nichts Besonderes gedacht hatte, weil die in ihrer Nachbarschaft gang und gäbe waren, wurden ihr offiziell verziehen, als sie sich, selbstverständlich medienwirksam live versendet bis ins ferne England, in der indischen Version der Containerspiele tränenreich bei der Frau entschuldigte.
Jade Goodys Bekanntheitsgrad, also ihre persönliche Quote, stieg aber erst dann in bislang unerreichte Höhen, als sie im Februar 2009 live während einer Show bekannt gab, an Krebs erkrankt zu sein, und dass deshalb nur noch wenige Wochen Leben vor ihr lägen. »Ich habe vor laufenden
Kameras gelebt, vielleicht werde ich jetzt vor laufenden Kameras sterben«, sagte sie, woraufhin der Sender Livin TV (kein Scherz, der heißt so) und das Magazin »OK« eine Million Pfund, trotz gefallenen Kurses noch 1,3 Millionen Euro, für die Exklusivrechte am Restleben und Sterben bezahlten.
Trash-Lady Jade tat es vorgeblich, um die Zukunft ihrer beiden Kinder zu sichern. Sie heiratete im Zuge der Totalvermarktung ihren Geliebten, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war und eigentlich unter Hausarrest stand, auf veröffentlichten Druck der Unterschicht aber Ausgang bekam für die Hochzeit – und ließ sich kurz vor ihrem Tod erstmalig sogar feiern von der Oberschicht. Seit ihrer Abschiedstournee, verkündeten britische Gynäkologen, hätten sich zwanzig Prozent mehr Frauen als sonst für Krebsvorsorgeuntersuchungen angemeldet.
Daraus ließe sich schließen, dass sogar Big Brother gut ist für die Volksgesundheit, dass die Blöden im Fernsehen keine Verachtung verdienen, sondern hin und wieder Dankbarkeit, weil nur sie die anderen Blöden erreichen.
Am 22. März 2009 starb Jade Goody. Sie wurde 27 Jahre alt. Ein Nachruf hätte wohl selbst ihr noch die Sprache verschlagen. Premierminister Gordon Brown nannte die Prolo-Queen der Herzen in seiner Würdigung eine »mutige Frau«. Er hat ganz offensichtlich gute Berater, die wissen, wie ihr Klient bei der wahlberüchtigten Klientel punkten kann.
Was seit der Gründung des Privatfernsehens bei der Bepflanzung der damals noch brachliegenden Seichtgebiete gelungen ist, wissen die heutigen führenden Landschaftsarchitekten zu schätzen. Sie ernten zwar das, was ihre Vorgänger über zwei Jahrzehnte hinweg gesät haben, werden aber stets daran gemessen, wie sich die von ihnen eingesetzten Sprösslinge entwickeln.
Ob sich jemand in der Gründungszeit etwas gedacht haben mag, meint RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt, eine studierte Betriebswirtschaftlerin, weiß sie nicht. Aber dabei herausgekommen sei eine Fernsehlandschaft mit einer beispiellosen Vielfalt an Sendern und Angeboten. Ihre These veranlasste einen Reporter von der«Süddeutschen Zeitung« zu der naheliegenden Frage, ob sie vielleicht dennoch ein gewisses Qualitätsdefizit sehe bei RTL.
Ein solches Defizit, auch ein nur gewisses, sah sie natürlich nicht. Ihre Antwort macht beispielhaft deutlich, warum es vergeudete Zeit ist, den Machern des kommerziellen Fernsehens vorzuhalten, sie würden die Bereiche Information und Bildung vernachlässigen. Sie haben eine ganz andere Vorstellung als ihre Kritiker davon, was Information ist und was der Volksbildung dient und was im Restaurant des Kölner Senders serviert werden muss. RTL-Wirtin Schäferkordt beschreibt die Spezialitäten in ihrem Lokal so: »Wir sind nicht nur auf Unterhaltung spezialisiert.Wir haben ein Vollprogramm und bieten in großem Umfang Informationsformate an.«
Dazu zählt sie in einem Atemzug neben Stern TV und Spiegel TV – einst von RTL ungeliebte Bastarde, zu deren Ausstrahlung man aber per Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet war, über die sie inzwischen jedoch behauptet, es seien immer Wunschkinder gewesen – auch die Magazine Extra , Explosiv, Exklusiv und Punkt 12 . Oder bei den Nachrichten RTL aktuell und das Nachtjournal . Angeblich sei Information für viele Zuschauer der hauptsächliche Grund, RTL einzuschalten.
Wenn das der Bohlen wüsste!
Klug, wie auch sie ist, spart die Frau nicht mit vergiftetem Lob für die ehrenwerte Konkurrenz, die sich in der Unterhaltung, »teilweise sogar in der Information« ihrem Sender
und den anderen Privaten angenähert habe. Genau das werfen viele ja der ARD und dem
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