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Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Titel: Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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auftauchte, ist niemand von euch geflohen. Warum nicht?«
    »Sie kommt nicht ins Dorf.« Die Witwe stand auf, trat ans Bett und räumte das Geschirr zusammen. »Möchtet Ihr eine Tasse Tee, Mister O’Gill? Mit
clotted cream
vielleicht?«
    Alebin lief das Wasser im Mund zusammen. Er kannte diese köstliche, dicke Rahmschicht ungeschlagener Sahne, die den Tee so angenehm weich und süß werden ließ. Klar mochte er die haben. Doch zuerst wollte er eine Antwort.
    »Woher wisst Ihr, dass die Bestie nicht ins Dorf kommt? Wie könnt Ihr da sicher sein?«
    Mistress Braxton hob das Tablett vom Bett und richtete sich auf. Einen Moment hielt sie inne. Dann sagte sie mit einem Seufzer: »Es ist, wie es ist, Mister O’Gill.«
    »Das genügt mir nicht! Und welchem Umstand habe ich euren Sinneswandel zu verdanken? Ich meine: Erst wolltet ihr mich ins Moor zurückjagen, trotz meiner Verletzungen und der nahenden Bestie, dann liege ich plötzlich in einem Zimmer eurer Taverne … äh … Wie bin ich überhaupt hierhergekommen?«
    »Ihr seid ohnmächtig geworden. Nathan und Jasper haben Euch getragen.« Mistress Braxton wandte sich vom Bett ab, dass ihr altmodisches Kleid nur so rauschte, und ging Richtung Tür.
    »Halt! Wartet!« Alebin konnte es nicht fassen.
Die haut einfach ab! Das gibt’s doch gar nicht!
    »Ich will wissen, was es mit dieser Grenze auf sich hat. Wer hat sie erschaffen und warum? Wieso verlässt niemand das Dorf nach Sonnenuntergang?«
    »Fragen über Fragen«, sagte die Witwe geduldig, als spräche sie zu einem quengelnden Kind. »Ruht Euch noch ein wenig aus, Mister O’Gill! Ich bringe Euch den Tee.«
    »Ich will keinen Tee, ich will eine Antwort!«, rief Alebin erbost.
    Mit dem Ellbogen drückte Mistress Braxton die Klinke herunter und zog die knarrende Tür auf. Im Rahmen drehte sie sich noch einmal um. Sie lächelte. »Ihr werdet Eure Antworten bekommen, seid gewiss, Highlander!«
    »Seht Ihr? Mit ein bisschen gutem Willen geht doch alles. Und wann?«
    »Am ersten Jahrestag.«
    Alebin schüttelte verständnislos den Kopf. »An welchem ersten Jahrestag?«
    »An Eurem«, antwortete Mistress Braxton. »Oh und willkommen in Whispering Willows!«
    Gegen Mittag hatte sich der Regen verausgabt; die dunkle Wolkendecke brach auf, und das Licht kam zurück ins Moor. Noch hatte die Oktobersonne Kraft genug, um den nassen Boden zu erwärmen. Er dampfte, und an den herbstlich verfärbten Bäumen, dem Heidekraut und den mit Spinnweben behängten Sträuchern begann ein Tropfenheer zu funkeln. Überall glitzerte und blinkte es wie kostbares Geschmeide.
    Auf den Straßen von Whispering Willows war kaum jemand unterwegs, als Alebin die Taverne verließ. Er verharrte kurz, um an seiner schlecht sitzenden Jacke zu zerren – oder eher: an der des seligen Nicholas Braxton –, und gleich darauf den Regen zu verfluchen, der ausgerechnet vor der Tür des
Grumpy Hog
eine Pfütze hinterlassen hatte. Alebin stand darin.
    Wütend und mit nassem Schuh stapfte der Elf davon. Im Vorbeigehen warf er einen Blick hinauf zum Tavernenschild, das leise quietschend an zwei alten, nicht sonderlich vertrauenerweckenden Ketten schaukelte. Es war aus Holz, und zeigte das Konterfei des Namengebers der Taverne. Allerdings durfte man die dunkel verwitterte Malerei nicht zu genau betrachten, denn Bild und Bezeichnung stimmten nur bedingt überein. Was da aus kleinen, zugespeckten Augen auf Alebin herunterstarrte, war kein
brummiges Schwein
, sondern ein abgrundtief übellauniger Eber mit langen Hauern. Es hatte sich was mit
grumpy!
Passender wäre
rotten old stinkpig
gewesen, aber wer wollte sein Gasthaus schon so nennen?
    Alebin interessierte das alles herzlich wenig. Er hatte nicht vor, auch nur einen Tag länger in diesem Dorf zu bleiben – Eleanor Braxton war der lebende Beweis dafür, dass Whispering Willows von Verrückten bewohnt wurde. Die Frau schien allen Ernstes zu glauben, er würde sich in ihrer Mitte niederlassen! Wahrscheinlich hoffte sie das sogar, schließlich war sie verwitwet und er eine gute Partie.
    Schnurstracks ging er über den Dorfplatz zum toten Bacharm. Alebin wollte wissen, was es mit dieser Grenze auf sich hatte. Am hellen Tag sah das versumpfte Gewässer ganz anders aus als bei seinem ersten Besuch: überhaupt nicht wie eine Grenze, kein bisschen bedrohlich. Es lag zwischen Wiesen am einen Ufer und Heidekraut am anderen, gehörte so selbstverständlich in die Moorlandschaft wie die Sträucher dort drüben und der Baum

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