Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
noch Jungfrau
.
»Aber nicht mehr lange!«, fügte er vergnügt hinzu und machte sich auf die Suche nach – wie hieß sie doch gleich? Ach ja: Millicent.
»Sechzehn Jahre, blonde Haare«, trällerte der Elf leise und ganz schrecklich schief, während er im Takt dazu losmarschierte. Zügig, denn es begann schon wieder zu nieseln.
Whispering Willows war ein kleiner Ort, der sich ziemlich schnell durchwandern ließ. Wenn man über die Steinbrücke kam, stand man schon auf dem Dorfplatz. Rechts, am Bach entlang der knorrigen Weiden, waren Schafpferche angelegt. Niedliche, dick bewollte Rasenmäher trotteten darauf herum und fraßen mit stoischer Gelassenheit ihre Schneisen ins Gras, schlechtes Wetter hin oder her.
Geradeaus, am gegenüberliegenden Rand des Dorfplatzes, stand das
Grumpy Hog
. Es war größer als seine Nachbarn zu beiden Seiten, beherrschte den Platz, zog die Blicke auf sich. Man konnte diese Taverne nicht verfehlen, selbst wenn man es wollte.
Die Gebäude der Frontreihe waren allesamt frei stehend. Zwischen ihnen führten schmale Durchgänge in den eigentlichen Ort – eine Ansammlung kleiner, uralter Häuser aus roh behauenem Naturstein, längs und quer von Eichenbalken gestützt. Ihre Schindeldächer hatten einen Senkrücken, und die Seitenwände wussten wohl einiges zu erzählen, lehnten sie sich doch wie neugierige Klatschbasen aufeinander zu, über dem Labyrinth aus verwinkelten Gässchen.
Als Alebin dort entlangging, bewegte sich so manche Gardine hinter den altmodischen Fenstern mit ihren mehrfach unterteilten Scheiben. Aber es ließ sich niemand blicken außer einer griesgrämig wirkenden Katze, die unter einem überhängenden Dachrand auf den Pflastersteinen saß und sich den Regen aus dem Fell putzte. Beim Anblick des Elfen hielt sie inne, starrte zu ihm hoch und fauchte lautlos. Alebin fauchte zurück, und sie lief davon.
Hinter den Häusern waren Gärten angelegt. Hin und wieder blühten ein paar Herbstblumen tapfer gegen das miese Wetter an, doch ansonsten sahen die Parzellen recht mager aus. Die Erntezeit war vorbei. An den verwaisten Bohnenstangen schaukelten Spinnweben, die Kartoffelbeete erholten sich leer und flach geharkt von den Mühen des Sommers, und im Geäst der Obstbäume hingen nur noch sterbende Blätter.
Alebin wanderte die Gärten entlang nach links, vom Bach unter den wispernden Weiden weg zum anderen Dorfende. Dort lag der Friedhof. Ein verschnörkeltes, rostiges Eisengitter grenzte ihn ein, nicht einmal hüfthoch. Der Elf vermutete, dass es tierische Besucher davon abhalten sollte, den Friedhofsinhalt zu plündern. Wenn man damit Erfolg haben wollte, empfahl es sich allerdings auch, das kleine Eingangstor zu schließen – und das stand sperrangelweit auf. Alebin stutzte. Bewegte sich da jemand zwischen den Gräbern? Eine schlanke Gestalt mit blondem Haar?
Er beschleunigte seine Schritte.
Hä-hähä!
, dachte er. Fast hätte er sich die Hände gerieben.
Na, wenn das nicht die kleine Millicent ist! Das Wärmfläschchen für mein Bett. Mein Trost in dunkler Nacht. Und ich brauche viel Trost und Wärme nach dem ganzen Ärger der letzten Zeit!
Die Sechzehnjährige drehte ihm den Rücken zu, als Alebin den Eingang erreichte, und daran änderte sich auch nichts, obwohl er extra das Tor bewegte, dass es in den rostigen Angeln nur so quietschte.
Wieso dreht die sich nicht um? Ist sie taub?
Alebin schlurfte durch die Raschelschicht aus feuchtem Herbstlaub, das den Friedhofsweg bedeckte, und hüstelte wenig dezent.
Nichts. Keine Reaktion.
Reglos stand Millicent am Fußende eines frischen Hügels, die Hände gefaltet, in Gedanken versunken. Rote Astern lagen auf dem Grab, mit welkenden Blüten, nass und schwer. Alebin blieb einen Schritt hinter dem Mädchen stehen und sah sich um. War das ein trostloser Ort! Ringsum vermooste Grabsteine, brüchig und alt. Uralt! Die wenigsten standen noch aufrecht, wie sie es sollten. Erkennbare Reihen gab es auch nicht – in diesem Ort wurde anscheinend nach Laune beerdigt.
Vielleicht machen sie es ja vom Gewicht abhängig: Schwere Särge schleppen sie nur durch den Eingang, leichtere so weit, bis die Träger schlappmachen
. Alebin grinste breit. Mistress Braxton würde dann wohl gleich hinter dem Tor landen.
»Mach’s gut, Onkel Harry!«, sagte Millicent in seine Gedanken hinein und drehte sich um.
»Haa!«, schrie sie erschrocken, und »Haa!«, schrie Alebin, der nicht minder erschrak.
Leider fiel sie nicht in Ohnmacht, und so
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