Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
lagen ein Päckchen Tee, eine verbeulte Dose Bohnen in Tomatensauce … und ein grüner Plastikbeutel – gerade richtig zum Fortschaffen geklauter Gläser. Den musste er haben!
Die alte Frau kam näher. Warum sie nach weicher Babynahrung griff, konnte sich der Spriggans nicht erklären. Es war ihm auch egal. Er wollte nur den Beutel.
Inzwischen rannten die Verkäufer wie aufgescheuchte Hühner durchs Geschäft und suchten nach dem Missetäter, der ihr schönes Sonderangebot verbeult hatte. Cor grinste gehässig. Ohne einen Blick von der Frau zu lassen, zog er ein paar Gläser aus der ersten Regalreihe, setzte sich in die so entstandene Lücke und erstarrte. Nun musste das Mütterchen nur noch herkommen.
Die Frau hatte es auf Spinatpampe abgesehen, zielte aber nach einem Glas, das für Cors Plan zu weit entfernt stand. Im Halbdunkel des Regals hechtete er hin und zog es der betagten Frau unter den Fingern weg. Sie stutzte, runzelte verwundert die Stirn und wollte das Nachbarglas fassen. Witsch, war es fort.
Nach drei weiteren nutzlosen Versuchen stand sie mitsamt ihrem Einkaufswagen da, wo der Spriggans sie haben wollte, nämlich genau vor ihm. Die Frau griff nach dem Glas an seiner Seite. Sie zögerte; halb erwartend, dass es ihr ebenfalls entwischen würde – und packte zu. Beim Herausziehen streifte ihr Handrücken am Fell des Spriggans entlang. Ihr war anzusehen, wie sie in Gedanken nach einer Erklärung für das seltsame Gefühl kramte und keine fand. Dann näherte sie ihr Gesicht den aufgereihten Spinatgläsern.
Hinter den dicken Brillengläsern wirkten die Augen der alten Dame unnatürlich groß. Sie kamen genau auf Cor zu. Er bewegte sich nicht, während das Mütterchen ihn aus riesigen schwarzen Pupillen scheinbar anstarrte und vergeblich zu begreifen versuchte, warum sie nichts sah. Als ihre Nasenspitze ihn fast berührte, machte der Spriggans sich plötzlich sichtbar. Er riss die Arme hoch, drückte die Daumen an seinen Kopf, wackelte heftig mit den Fingern und streckte die Zunge heraus. »Bläääää!«, machte er, dass die arme Frau nur so zurückprallte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, drehte sich um und humpelte eilends davon.
Cor sprang in den Einkaufswagen und schnappte sich den Plastikbeutel. Dann hangelte er sich zurück ins Regal, schob die Gläser wieder an ihren Platz und nickte zufrieden: Alle Spuren waren beseitigt! Nun konnte er – zwar zügig, aber ohne Panik – seine Beute verstauen.
Als die alarmierten Verkäufer nahten, um das Glassortiment abzuräumen und den rätselhaften Poltergeist ans Licht zu bringen, war Cor längst nicht mehr da. Er ließ sich samt Plastikbeutel und Babynahrung auf der anderen Seite des Regals zu Boden gleiten und wich einem Angestellten um Haaresbreite aus, während er nach draußen sauste.
Es schneite wieder. Abendglocken läuteten im eisigen Wind, und mit der zunehmenden Dunkelheit verwandelte sich Marazion in eine Lichterstadt. Die Flut kam herein; schäumend und wild toste sie über den Strand. Weit genug von der Brandung entfernt stand ein Ferienhaus. Offiziell war es zurzeit unbewohnt, trotzdem drang Licht aus den Fenstern.
»So lässt es sich aushalten!« Der Kau hatte sich mit ein paar Kissen vor dem Kamin im Wohnzimmer niedergelassen. Die dünnen Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag er da; seine Augen waren halb geschlossen. Am Kaminrand trockneten seine durchnässten Schuhe. Neben ihnen prasselte ein lustiges Feuer, das den Raum mit wohliger Wärme füllte.
Genüsslich streckte der Elf die Füße aus und wackelte mit seinen langen Zehen. Im Hintergrund hörte er Cor hantieren – die beiden wechselten sich ab beim Babysitten, und an diesem Abend war der Spriggans an der Reihe. Kau gähnte ungeniert. Was für ein Tag! Wenn doch nur alle so gut verliefen! Sie hatten den Buggy ergattert und brauchten Talamh fortan nicht mehr selbst zu schleppen. Der Überfall auf den Supermarkt war ebenfalls glatt gelaufen, und – er glaubte es kaum! – Talamh hatte sein Essen artig verputzt. Bananenbrei mit Bourbon-Vanille, das andere Zeug mochte er nicht.
Und sie hatten dieses unbewohnte Haus entdeckt! Es war natürlich verriegelt gewesen, als sie ankamen. Aber Cor hatte sich einmal ordentlich aufgeblasen, und danach hatte die Tür sich nicht mehr bockig an ihrem Schloss festhalten können. Kau spürte die angenehme Schwere, die das Feuer und die weichen Kissen auslösten. Aus immer kleineren Augen sah er zu, wie der Mahagonistuhl im Kamin
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