Seidendrachen
Besitzerin des Gutes und nicht Tante Marie. Außerdem ist dort Platz für euch beide.“
Thérese schüttelte bestimmt den Kopf. „Nein, deine Tante Marie würde mir genauso das Leben zur Hölle machen wie Gérard. Es geht mir gut hier und die Menschen sind gut zu mir. Ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht. Einer davon war es, deinen Vater zu ehelichen. Meine Eltern – Gott hab sie selig – glaubten, mich in guten Händen, als sie diese Heirat arrangierten. Aber dafür war ich nie bestimmt. Das einzig Gute, was daraus entstanden ist, bist du, mein Sohn.“ Sie blickte ihm prüfend in die Augen.
„Und wie steht es mit dir, Junge?“
„Was meinst du?“
„Hast du noch keine Frau fürs Leben gefunden?“
Nicolas räusperte sich. Was sollte er darauf antworten? Das da war seine Mutter und sie schien bis auf den Grund seiner Seele zu blicken, wie sie ihm so gegenüber saß und liebevoll betrachtete.
„Ich habe mein Herz wohl verloren“, begann er zögerlich.
„…aber kein anderes gewonnen?“, ergänzte seine Mutter leise fragend.
„So ähnlich“, murmelte Nicolas und nahm noch einen Schluck Wein.
„Wer ist sie?“
Nicolas schwieg. Seine Mutter legte ihre Hand auf sein Knie. „Hör zu, mein Junge. Es spielt keine Rolle, wen du liebst, solange er nur das gleiche für dich empfindet.“
Ahnte sie es? Wie zur Bestätigung nickte sie. Dann stand sie auf und kramte aus einer anderen Kiste einen kleinen, alten Lederbeutel. Sie reichte ihm die schäbige Börse.
„Was ist das?“ Er nahm den Beutel und blickte hinein. Goldmünzen!
„Der Lohn für einen Verrat“, erwiderte sie. „Ich bin alt und werde wohl nur noch wenige Jahre vor mir haben. Deshalb will ich reinen Tisch machen. Du, als mein Sohn, sollst die Wahrheit wissen, die mich das Leben kosten könnte, vielleicht sogar heute noch.“
Erschrocken sah Nicolas auf.
„Vor langer Zeit habe ich einmal einem Kind auf die Welt geholfen im Schloss des Herzogs von Oranien. Einem unehelichen Sohn von ihm und einer deutschen Freifrau von Anrath . Einer Hofdame der Herzogin, die selbst erst vor kurzem entbunden hatte. Daher durfte dieser Junge nicht im Schloss bleiben. Der Mutter musste ich erzählen, dass sie eine Totgeburt hatte. Sie war sowieso sehr schwach und starb wenige Tage später am Kindbettfieber. Wahrscheinlich hat ihr diese Nachricht das Herz gebrochen. Das allein war schon ein Verbrechen.“
„Und dafür hat man dich so reichlich entlohnt?“
Nicolas wusste, dass eine solche Frau, der viele Menschen die intimsten Geheimnisse anvertrauten, schweigen musste.
„Ja. Der Pater, der mich mit dieser Aufgabe betraut hatte, nahm dann später das Kind und ließ es in seinem Kloster ganz in der Nähe im christlichen Glauben erziehen. Er solle Jarin heißen, sagte er mir noch.“
Nicolas fuhr hoch. „Was sagst du da?“
Diesmal war es seine Mutter, die erschrocken hochblickte.
„Jarin war sein Name?“, fragte Nicolas noch einmal nach.
„Ja, das weiß ich ganz genau. Eine solche Geschichte vergisst man sein Lebtag nicht. Ich nahm das Gold nur als Sicherheit für dich, mein Sohn. Es sollte dein Erbe sein, denn ich war damals in dem Glauben, dass Gérard dir in seinem kalten Herzen keinen Centime hinterlassen würde. Wie du siehst, hatte ich recht damit. Er hat seiner Schwester das Erbe vor dir eingeräumt.“
„Ich kann das nicht annehmen, Mutter!“, sagte Nicolas aufgeregt. Innerlich rotierten seine Gedanken. War der Jarin, den er liebte, tatsächlich der Sohn des Herzogs von Oranien? Und der Junge wusste gar nichts davon?
„Dies war mein Schweigegeld. Nun ist es deins“, orakelte Thérese . „Niemand darf davon erfahren, hörst du? Sonst bringst du alle in Gefahr. Dich, mich und diesen Jungen, wo immer er sein mag! Das musst du mir schwören, Nicolas!“
Ich weiß ganz genau, wo e r ist! Ob er sich immer noch mit Dienstbo t en abgibt, wenn e r erfährt, d a ss e r von adeliger Herkunft ist? Er w i r d sich bes t immt von diesem A kio t r ennen müssen. Ho f fnung ke i mte in Nicolas auf.
„ Sc h wöre es! “ , wiederhol t e seine Mut t er eind r inglich.
„ Ich sc h wöre es, M a m a n . “ Er h o f f t e i m Stil l en, dass er in der Lage sein würde, diesen Eid zu h a lten, wenn er Jarin wiedersehen würde.
*
Die beiden Kerzen waren längst heruntergebrannt und ihr Wachs zu einem unförmigen Klumpen geschmolzen, als Jarin erwachte. Akio lag immer noch bei ihm und sein Atem berührte Jarins nackte Brust
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