Seidene Küsse
anfassen möchte, deine Brust, die hart wirkt unter den Stößen deiner Lust. Mit denen du mir zeigst, was dir gefällt und ich brauche. Genauso will ich es spüren, das Leben, die Lust. Das Glanzgesprenkelte deiner blauen Augen trifft für einen wunderbaren Moment meine schwarzen. Dein Tanz wird schneller, und in mir ist ein Taumeln, ein Jubilieren. Es wird schneller und lauter, bis wir allgegenwärtig sind, eins miteinander und mit uns selbst. Du mit mir, ich mit dir. Bis unsere Gesichter verschwimmen und den Ausdruck der Verklärtheit annehmen.
»Hallo, ich bin wieder da«, rief Julia.
Fabian war bei seiner Lieblingsbeschäftigung. Er malte sie. Nackt. Sie hätte Fabian stundenlang zusehen können, wie er sie zeichnete. Die Haare zerzaust, der Mund vor Konzentration mal in die eine Richtung, mal in die andere verzogen. Je nachdem, welche Region er gerade zeichnete oder wie schwierig es war, die richtige Stimmung einzufangen. Seine Blicke, die so intensiv waren, dass ihr Herz jedes Mal vor Freude einen Satz tat. Und sein glückliches Lächeln, wenn er in ihre Augen sah.
»Komm, zieh dir besser etwas an, bevor sie doch noch hereinplatzt.«
Als sie aus Fabians Zimmer kamen, sagte Julia: »Aber hallo. Euch kann man wohl nicht alleine lassen.« Beide lachten. Julia hatte also sofort Lunte gerochen. Fabian hatte seine Wette verloren.
Mafina hatte gewettet, dass Jufia es in dem Augenblick durchschauen würde, wenn beide in einem Raum zusammen waren.
»Warum lacht ihr so?«
»Lustig, dass man es uns ansieht«, sagte Marina.
Verbotene Einblicke
Saskia hasst Vorhänge.
Jetzt im Sommer dient das dichte Blätterwerk des betagten, ausladenden Kastanienbaumes vor ihrem Schlafzimmer nicht nur als natürliche Klimaanlage, sondern auch als Sichtschutz. Außer bei Gewitter lässt Saskia ihr Fenster Tag und Nacht weit geöffnet. Genießt das Streicheln der lau hereinwehenden Brise auf ihrer nackten Haut beim Aus- und Ankleiden. Saugt — in schwülen Nächten, zwischen ihren raschelnden Laken liegend — mit einem tiefen Atemzug den Duft von aufgeweichtem Teer, Grillwürstchen, Balkonkräutern und Sommerblüten ein. Lässt sich vom fernen Stimmengewirr, der Musik und den Feuerwerken der zahlreichen Stadtteilfeste in den Schlaf wiegen. Ärgert sich über das Vogelgezwitscher, das sie jeden Morgen zum Sonnenaufgang langsam, aber sicher und viel zu früh aus ihren Träumen holt.
Zugvögel leben in Schwärmen, sind also ununterbrochen zusammen. Was haben die sich bloß zu erzählen?, fragt sich Saskia jedes Mal, bis sie die ersten milden Sonnenstrahlen an der Nase kitzeln.
Die riesigen Panoramafenster, die alle Räume ihrer großzügigen Wohnung mitten im Stadtzentrum rundherum mit Licht durchflufen und ihr eine unverhüllte Aussicht auf die Häuser und Straßen in ihrer Umgebung gewähren, geben Saskia ein Gefühl der Geborgenheit, der Verbundenheit mit allen anderen Stadtbewohnern.
Jedes Mal, wenn Saskia aus ihrem Hauseingang auf die Straße tritt, betrachtet sie die Männer, die ihr begegnen, und rätselt, wer von ihnen sie wohl heimlich beobachten mag. Bei ihrer Vorliebe für luftige, durchsichtige Kleider, figurbetonte Hosen oder Miniröcke und offenherzige Oberteile fällt es der groß gewachsenen Brünetten nicht schwer, Blickkontakt aufzunehmen. Doch es ist ihr noch nicht gelungen, in den anerkennenden Augen der Männer diesen bestimmten Funken des Wiedererkennens zu entdecken.
Nein, so ganz stimmt das nicht.
Der Buchhändler. Ein vergeistigter, brummbäriger Geselle unschätzbaren Alters, der das geschriebene Wort dem gesprochenen als Kommunikationsmittel vorzieht. Aber Saskia begrüßte er schon beim ersten Mal, als sie seinen Laden betrat, wie eine Bekannte. Machte ihr sogar Komplimente, während sie versonnen an den Verkaufstischen entlangschlenderte. Die seltenen Male, die Saskia dort einkaufte, behandelte er sie stets mit auffallender, fast schon schmieriger Zuvorkommenheit, und obwohl sie sich daraufhin zu den hinteren Regalen zu retten versuchte, hörte er nicht auf, sie anzustarren.
Spontan dachte Saskia daran, dem Buchhändler nach Geschäftsschluss nach Hause zu folgen, um sich Gewissheit zu verschaffen, doch sehr schnell verwarf sie den Gedanken wieder. Sie wollte nicht immer sein fahles, verdorrtes Trockenobst-Gesicht vor Augen haben, wenn im Haus gegenüber irgendwo das Licht anging. Erst recht nicht, seit Saskia öfter mal anonyme Anrufe erhält.
»Ich sehe dich.«
Stille. Auch Saskia schweigt.
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