Seidenfächer
Wurzeln. Palmen, umfriedet von Gartenmauern, mit tiefen Wurzeln stehen sie tausend Jahre.« Für mich fasste das zusammen, wie unsere Beziehung sein sollte – tief, eng, auf ewig. Ich wollte, dass dieser eine Fächer zum Symbol unserer Beziehung wurde. Ich war erst siebeneinhalb Jahre alt, aber ich malte mir aus, was dieser Fächer mit all seinen geheimen Botschaften einmal darstellen würde.
Sobald ich beschlossen hatte, dass meine Antwort auf Schneeroses Fächer stehen sollte, bat ich Tante, mir beim Verfassen der richtigen Nushu-Antwort zu helfen. So radikal ich bei meinem Gegengeschenk war, so konventionell sollte meine geheime Botschaft sein. Tante schrieb mir die Wörter vor, auf die wir uns geeinigt hatten, und ich übte sie, bis meine Schriftzeichen einigermaßen passabel aussahen. Als ich damit zufrieden war, zerrieb ich Tusche auf dem Tuschestein und mischte sie mit Wasser, bis sie tiefschwarz war. Ich nahm den Pinsel in die Hand, hielt ihn aufrecht zwischen Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger und tauchte ihn in die Tusche. Zuerst malte ich eine winzige Schneerose zwischen die Blättergirlande oben auf dem Fächer. Für meine Nachricht wählte ich die Falte neben den schönen Schriftzeichen von Schneerose. Ich begann mit einer traditionellen Eröffnung und fuhr dann mit den üblichen Phrasen für eine solche Gelegenheit fort:
Ich schreibe dir. Bitte höre mich an. Auch wenn ich arm und des hohen Tores deiner Familie nicht würdig bin, schreibe ich dir heute, um zu sagen, dass wir dazu bestimmt waren, uns zu vereinen. Deine Worte erfüllen mein Herz. Wir sind ein Pärchen Mandarinenten. Wir sind eine Brücke über den Fluss. Überall werden die Leute uns beneiden, weil wir so gut zusammenpassen. Ja, mein Herz ist aufrichtig bereit, mit dir zu gehen.
Natürlich empfand ich das alles nicht wirklich. Wie sollten wir uns mit unseren sieben Jahren tiefe Liebe, Freundschaft und ewige Treue vorstellen? Wir hatten uns noch nicht einmal kennen gelernt, und selbst wenn, so hatten wir doch keine Ahnung von diesen Gefühlen. Es waren nur Wörter, die man schrieb, und man hoffte, dass sie eines Tages wahr werden würden.
Ich legte den Fächer und die Schuhe für gebundene Füße, die ich genäht hatte, auf ein Stück Stoff. Jetzt hatte ich nichts mehr, um meine Hände zu beschäftigen, und so machte ich mir viele Gedanken. War ich zu niedrig für Schneeroses Familie? Wenn sie meine Schriftzeichen sahen, würden sie dann sofort merken, wie untergeordnet ich war? Würden sie meinen Bruch mit der Tradition für schlechte Manieren halten? Würden sie die Verbindung nicht mehr erlauben? Diese beunruhigenden Gedanken – Fuchsgeister im Kopf nannte sie meine Mutter – verfolgten mich, aber mir blieb nichts übrig, als zu warten, weiter im Frauengemach zu arbeiten und meine Füße auszuruhen, so dass die Knochen gut heilten.
Als Ehrenwerte Frau Wang sah, was ich mit dem Fächer gemacht hatte, schürzte sie missbilligend die Lippen. Doch nach einer Weile nickte sie wissend. »Dieser Bund ist wirklich vollkommen. Diese zwei Mädchen passen nicht nur wegen ihrer acht Zeichen zusammen, auch ihre Pferdegeister sind gleich. Das wird … interessant.« Dieses letzte Wort sagte sie beinahe
fragend, so dass ich noch gespannter auf Schneerose wurde. »Als Nächstes müssen nun die offiziellen Vereinbarungen vervollständigt werden. Ich schlage vor, ich fahre mit den beiden Mädchen zum Gupotempelfest nach Shexia, damit sie ihren Vertrag aufsetzen können. Mutter, ich werde mich um den Transport der beiden kümmern. Sie werden nicht viel laufen müssen.«
Damit nahm Ehrenwerte Frau Wang die vier Stoffzipfel, legte sie über dem Fächer und den Schuhen zusammen und nahm sie mit, um sie meiner zukünftigen laotong zu geben.
SCHNEEROSE
W ährend der nächsten Tage fiel es mir schwer stillzusitzen und meine Füße ausheilen zu lassen. Ich konnte einzig daran denken, dass ich Schneerose bald kennen lernen sollte. Selbst Mama und Tante waren schon ganz aufgeregt und machten Vorschläge, was Schneerose und ich in unseren Vertrag schreiben sollten, obwohl keine von beiden jemals einen gesehen hatte. Als Frau Wangs Sänfte vor unserem Haus hielt, war ich sauber gewaschen und einfach und ländlich gekleidet. Mama trug mich die Treppe hinunter und hinaus. Zehn Jahre später, bei meiner Hochzeit, sollte ich auf ähnliche Weise zu einer Sänfte gebracht werden. Da sollte ich Angst vor dem neuen Leben haben, das vor mir lag, und nur
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