Seidenfächer
Geruch, der durch die Sänfte wehte, meine Nase verführte und meinen Magen beruhigte.
»Warst du denn schon einmal hier?«, fragte mich Schneerose. Als ich den Kopf schüttelte, plapperte sie weiter. »Ich war mit meiner Mutter schon öfter hier. Es hat uns immer sehr gut gefallen. Wir haben jedes Mal den Tempel besucht. Glaubst du,
wir machen das heute auch? Wahrscheinlich nicht. Da müssten wir zu weit laufen, aber ich hoffe, wir können zum Tarostand. Mama geht immer mit mir dorthin. Riechst du es? Der Alte Zuo – ihm gehört der Stand – macht die besten Süßigkeiten im ganzen Landkreis.« Sie war hier schon oft gewesen? »Pass auf, das geht so: Er brät die Tarowürfel, bis sie innen weich sind, aber außen fest und knusprig. Dann lässt er auf dem Feuer Zucker in einem großen Wok schmelzen. Hast du schon mal Zucker gegessen, Lilie? Das ist das Beste auf der Welt. Er schmilzt den Zucker, bis er braun wird, dann gibt er den gebratenen Taro in den Zucker und rührt um, bis die Würfel überzogen sind. Das gibt er alles auf einen Teller und stellt ihn dir mit einer Schüssel kaltem Wasser auf den Tisch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie heiß der Taro mit diesem geschmolzenen Zucker ist. Das würde dir ein Loch in den Mund brennen, wenn du versuchen würdest, es so zu essen, also nimmst du ein Stück mit den Stäbchen auf und tauchst es ins Wasser. Knack, knack, knack! So klingt das, wenn der Zucker hart wird. Wenn du reinbeißt, hast du die knusprige Zuckerhülle, den kross gebratenen Taro und dann noch die weiche Mitte. Liebste Tante muss einfach mit uns dorthin, findest du nicht?«
»Liebste Tante?«
»Du kannst ja sprechen! Ich dachte, du könntest nur schöne Wörter schreiben und sonst nichts.«
»Vielleicht rede ich nur nicht so viel wie du«, antwortete ich leise und gekränkt. Sie war die Urenkelin eines kaiserlichen Beamten und weit gebildeter als die Tochter eines gewöhnlichen Bauern.
Sie nahm meine Hand. Ihre war trocken und heiß, ihr chi brannte. »Keine Sorge. Mir ist das egal, ob du still bist. Ich bekomme immer Schwierigkeiten, wenn ich rede, weil ich meist vorher nicht nachdenke. Du hingegen wirst eine ideale Ehefrau, die immer ihre Worte mit großer Sorgfalt wählt.«
Siehst du? Schon an diesem ersten Tag verstanden wir einander, aber hinderte uns das etwa daran, in der Zukunft Fehler zu begehen?
Frau Wang öffnete die Tür der Sänfte. »Kommt mit, Mädchen. Alles ist vorbereitet. Mit zehn Schritten seid ihr an eurem Ziel. Wären es mehr, würde ich mein Versprechen euren Müttern gegenüber brechen.«
Wir hielten nicht weit von einem Stand mit Papierwaren, der mit roten Bändern, Glückssprüchen, rot-goldenen Doppelglück-Symbolen und Bildern der Göttin Gupo dekoriert war. Auf einem Tisch lagen die buntesten Dinge zum Verkauf bereit. Gänge auf beiden Seiten erlaubten den Kunden, den Stand zu betreten, der vom Radau der Straße durch drei lange Tische an der Seite geschützt war. In der Mitte der Bude stand ein kleiner Tisch mit Tusche, Pinseln und zwei Lehnstühlen bereit. Ehrenwerte Frau Wang hieß uns, ein Papier für unseren Vertrag auszusuchen. Wie jedes andere Kind hatte ich bislang nur unwichtige Entscheidungen getroffen, zum Beispiel, welches Stück Gemüse ich mir angeln sollte, nachdem sich Baba, Onkel, Älterer Bruder und alle im Haushalt, die älter waren als ich, bereits mit ihren Essstäbchen bedient hatten. Nun war ich völlig überwältigt von diesem Angebot und hätte am liebsten alles angefasst, während Schneerose mit ihren nur siebeneinhalb Jahren bereits Unterschiede machte und ihre bessere Erziehung zeigte.
Ehrenwerte Frau Wang sagte: »Denkt daran, Mädchen. Ich bezahle heute alles. Jetzt müsst ihr nur eine Entscheidung treffen. Es kommen noch mehr, also bummelt nicht.«
»Natürlich, liebste Tante«, antwortete Schneerose für uns beide. Dann fragte sie mich: »Welches gefällt dir?«
Ich deutete auf einen großen Bogen Papier, dessen schiere Größe der Bedeutung des Anlasses Rechnung zu tragen schien.
Schneerose fuhr mit dem Zeigefinger über die goldene Kante. »Das Gold ist nicht von guter Qualität«, sagte sie, dann hielt sie
den Bogen in die Luft. »Das Papier ist so dünn und durchsichtig wie ein Insektenflügel. Siehst du, wie die Sonne durchscheint?« Sie legte ihn wieder auf den Tisch und blickte mir auf die ihr eigene ernste Art in die Augen. »Wir brauchen etwas, das für alle Zeiten den Wert und die Dauerhaftigkeit unserer
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