Seidenfächer
bemühte mich, so ernst und still zu sein, wie Schneerose es damals am Tisch meiner Familie gewesen war. Bei diesen Gelegenheiten sprach er nicht mit mir. Manchmal kam er früh in unser Zimmer, um unseren Sohn zu besuchen oder zum Liebesspiel. Ich nahm an, wir waren wie jedes andere Ehepaar – auch Schneerose und ihr Mann -, und so gab es nichts Interessantes zu schreiben.
Wie konnte ich Schneeroses Frage, ob ich glücklich war, beantworten, wo doch das größte Problem in meinem Leben mit ihr zu tun hatte?
»Ich gebe zu, du hast gut von Schneerose gelernt«, sagte meine Schwiegermutter eines Tages, als sie mich dabei erwischte, wie ich meiner laotong schrieb, »und dafür sind wir dankbar. Aber sie gehört nicht mehr unserem Dorf an und untersteht nicht mehr der Protektion von Meister Lu. Er kann und sollte nicht versuchen, ihr Schicksal zu ändern. Wie du weißt, gilt in Bezug auf Ehefrauen ein bestimmter Kodex, der mit Krieg und anderen Grenzstreitigkeiten zu tun hat. Als weiblichen ›Gästen‹ darf Ehefrauen bei Fehden, Überfällen und in Kriegen nichts geschehen, weil wir sowohl zum Dorf unserer Männer als auch zu unserem Heimatdorf gehören. Du siehst also, Lilie, als Ehefrau
genießen wir den Schutz und die Loyalität beider Orte. Doch wenn dir in Schneeroses Dorf etwas zustoßen würde, dann könnte jede unserer Handlungen zu einem Vergeltungsschlag und vielleicht gar zu einem andauernden Kampf führen.«
Ich hörte mir die Ausreden der Dame Lu an, aber ich wusste, dass ihre Gründe weit niederer waren. Über Schneeroses Familie war Schande gekommen, und sie hatte einen unreinen Mann geheiratet. Meine Schwiegereltern wollten schlichtweg nicht, dass ich Umgang mit ihr hatte.
»Schneeroses Schicksal war vorherbestimmt«, fuhr meine Schwiegermutter fort und wagte sich damit näher an die Wahrheit, »und es entspricht deinem in keiner Hinsicht. Meister Lu und ich würden uns sehr über eine Schwiegertochter freuen, die beschließt, den Vertrag mit jemandem aufzulösen, der nicht länger eine wirkliche Weggefährtin ist. Wenn du Gesellschaft brauchst, dann will ich dich an die jungen verheirateten Frauen in Tongkou erinnern, denen ich dich vorgestellt habe.«
»Ich erinnere mich an sie. Danke«, murmelte ich unglücklich, während ich innerlich vor Entsetzen aufschrie. Niemals, niemals, niemals!
»Sie hätten gerne, dass du einem nachehelichen Schwesternbund beitrittst.«
»Noch einmal, danke …«
»Du solltest ihre Einladung als Ehre betrachten.«
»Das tue ich.«
»Ich sage ja nur, dass du Schneerose aus deinen Gedanken verbannen sollst«, sagte meine Schwiegermutter, dann schloss sie mit einer Variation ihrer üblichen Ermahnung. »Ich möchte nicht, dass Erinnerungen an dieses unglückselige Mädchen meinen Enkelsohn beeinflussen.«
Die Konkubinen kicherten hinter vorgehaltener Hand. Sie genossen es, mich leiden zu sehen. Situationen wie diese stärkten
ihre Position und schwächten meine. Doch abgesehen von dieser ständigen Kritik war meine Schwiegermutter freundlicher zu mir, als es meine eigene Mutter gewesen war. Sie befolgte sämtliche Regeln, genau wie Schneerose gesagt hatte. »Als Mädchen gehorche deinem Vater; als Ehefrau gehorche deinem Mann; als Witwe gehorche deinem Sohn.« Ich hatte das mein ganzes Leben lang gehört, deshalb ließ ich mich nicht einschüchtern. Aber meine Schwiegermutter brachte mir eines Tages noch einen Grundsatz bei, als sie sich über ihren Mann ärgerte: Gehorche, gehorche, gehorche, und dann tu, was du willst. Im Moment konnten mich meine Schwiegereltern zwar daran hindern, Schneerose zu sehen, aber sie würden mich nie daran hindern, sie zu lieben.
Liebe Schneerose,
mein Mann behandelt mich gut.
Ich weiß nicht einmal, wo die Felder unserer Familie alle
liegen.
Ich arbeite auch schwer.
Meine Schwiegermutter wacht über allem, was ich tue.
Die Frauen in meinem Haushalt beherrschen Nushu gut.
Meine Schwiegermutter hat mir neue Zeichen beigebracht.
Ich zeige sie dir, wenn wir uns das nächste Mal treffen.
Ich sticke, webe und mache Schuhe.
Ich spinne und koche.
Ich habe einen Sohn.
Ich bete zur Göttin, dass ich noch einen Sohn bekomme.
Das solltest du auch.
Bitte höre auf mich.
Du musst deinem Mann gehorchen.
Du musst auf deine Schwiegermutter hören.
Ich bitte dich, dir nicht so viele Sorgen zu machen.
Denke stattdessen an die Zeit, als wir zusammen gestickt
und nachts geflüstert haben.
Wir sind zwei Mandarinenten.
Wir sind zwei Phönixe, die
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