Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
schien zufrieden, dass Isabelles Selbstsicherheit einen Knacks bekommen hatte, und wandte sich ab. Er folgte Kamo und ließ Isabelle mit ihren Sorgen allein.
K APITEL 9
Isabelle erwachte. Sie waren am Vorabend nicht zurück nach Nikkō gefahren, sondern ins Sakura View. Die Angestellten hatten ihr eine ähnliche Suite zugewiesen, wie sie sie damals bei Kyo schon gesehen hatte. Allzu genau hatte sie sich ihre neue Behausung aber nicht ansehen können, denn vor lauter Müdigkeit hatte Isabelle nur noch den Kimono abgestreift und war ins Bett gefallen.
Jetzt lag sie nackt darin und die Erlebnisse des vergangenen Abends stürzten auf sie ein. Isabelle gab einen leicht unterdrückten, aufstöhnenden Laut von sich und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Wo war sie nur hineingeraten? Was tat sie hier eigentlich?
„Steh auf“, begrüßte sie eine Stimme. Isabelle schob versuchsweise die Decke ein wenig tiefer und blinzelte hoch. Hi stand vor dem Bett und sah auf sie herunter. „Geh weg“, murmelte Isabelle und verkroch sich wieder.
„Steh schon auf. Wir haben dir Frühstück bestellt.“
„Wer ist wir?“
„Tsuki und ich. Keine Sorge, Isami-san ist zu einigen Meetings gerufen worden.“
Isabelle schlug die Decke mit einem Ruck zurück. „Ich habe keine Angst vor Toshi“, fauchte sie.
Hi lachte. „Ich sehe es. Jetzt komm schon.“
„Gib mir einen Bademantel oder so was“, brummte Isabelle.
Die Engländerin lachte leise und gab Isabelle einen der Bademäntel mit dem Logo des Sakura View aus dem Badezimmer. „Isami-san hat dir einige Sachen besorgen lassen. Deine Handtasche und deine persönlichen Dinge sind auch hier. Nur deine Kleidung haben wir in Nikkō gelassen.“
„Dann hoffe ich, er hat einen guten Geschmack für Bekleidung und kennt meine Größe“, erwiderte Isabelle, während sie versuchte, aus dem Bett zu schlüpfen und dabei nicht allzu offensichtlich nackt vor Hi zu stehen. Die nahm einfach den Bademantel aus Isabelles Händen und wickelte sie hinein, als sie stand. Die beiden Frauen gingen in den nächsten Raum. Einige Sofas, die kreisrund um einen Tisch aufgestellt waren, bildeten in dem großen Zimmer den Mittelpunkt. Tsuki saß an einem davon. Er hatte die riesige gläserne Vase, die auf dem Tisch stand, beiseitegestellt und die einzelnen Teile eines Scharfschützengewehrs darauf ausgebreitet. Konzentriert reinigte er gerade den Lauf. Isabelle verzog das Gesicht. „Keine Sorge, ich hatte nicht vor wegzulaufen.“
Tsuki hob den Kopf und sah sie verständnislos an. Hi legte ihr die Hand auf die Schulter. „So dumm würdest du nicht sein“, pflichtete sie ihr bei. „Lass uns endlich frühstücken, ich sterbe vor Hunger.“
Ein Tisch war an der Fensterwand aufgestellt und mit diversen Platten und Tellern belegt worden. Isabelle setzte sich und sog den Duft von heißem, frisch aufgebrühtem Kaffee und knusprigen Brötchen auf. Westliches Frühstück, nichts fehlte. Nicht einmal Waffeln und frisches Obst.
„Ich möchte gerne telefonieren“, sagte sie während des Frühstücks. Die Zwillinge sahen nicht einmal von ihren Tellern auf. „Das steht dir frei – du bist hier nicht eingesperrt“, brummte Tsuki.
„Also könnte ich auch rausgehen und mich mit Leuten treffen?“
Hi stellte ihre Kaffeetasse ab. „Du kannst anrufen und dich treffen, mit wem immer du willst.“
„Auch mit der Polizei? Der deutschen Botschaft?“, fragte Isabelle trocken. Die Antwort dazu lag auf der Hand.
His Lächeln wurde kühler und die blauen Augen verengten sich ein wenig. Isabelle hatte die Engländerin bisher nur freundlich erlebt – jetzt ahnte sie, was Menschen zu befürchten hatten, die sich Hi zum Feind gemacht hatten.
„Wie ich schon sagte: So dumm würdest du nicht sein“, sagte sie lediglich. Isabelle presste die Lippen aufeinander und stocherte in ihrem Obstsalat herum. Sie hasste es, klein beizugeben, aber Hi hatte sie durchschaut. Isabelle würde nichts tun, was Shin irgendwie in Gefahr bringen würde.
Nach dem Frühstück ging Isabelle duschen und stand anschließend vor dem Schrank ihres Schlafzimmers. Hi musste Toshi beim Einkauf beraten haben. Die gesamte Garderobe trug die Labels teurer Marken, wie Kenzo, Gucci und Yves Saint Laurent und war klassisch geschnitten. Isabelle nahm einen cremefarbenen Hosenanzug aus dem Schrank und wählte dazu ein rotes Spaghettiträger-Top, der Farbe ihrer Haare entsprechend. Es war erstaunlich, der Anzug saß, als wäre er
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