Seidenfpade
Kugel glühten ihre grünen
Augen wie die einer Katze. Eine dampfende Tasse Tee stand vor ihr, und nicht weit davon, auf einem Beistelltischchen, erwarteten Dani eine umfangreiche Teekanne und die obligatorischen Kekse.
»Nachmittag, Abend«, meinte Dani. »Im Winter ist das alles einerlei.«
Cassandra musterte Dani durchdringend, dann nickte sie, als ob sie ihr Gegenüber richtig eingeschätzt hätte.
»Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir!« Sie klopfte aufs Sofa. »Tee?«
»Danke.«
»Oder vielleicht Dinner? Sie sehen aus, als hätten Sie einige Mahlzeiten ausgelassen.«
»Ich hatte viel Arbeit nachzuholen«, erklärte Dani und rang sich ein Lächeln ab.
»Haben Sie es geschafft?«
»Bin sogar wieder ein Stück voraus.«
»Dann dürften Sie aber zufriedener aussehen«, wandte Cassandra ein.
Dani schwieg.
»Edelmütige Männer könnte ich manchmal erschießen, Sie auch?« fragte Cassandra. »Der Fluch ihrer Tugendhaftigkeit...«
Der Laut, den Dani von sich gab, hätte sowohl ein Lachen als auch ein Schluchzen sein können.
»Bitte nehmen Sie Platz«, wiederholte Cassandra. »Sturköpfigen männlichen Edelmut kann ich zwar nicht beseitigen, aber ich kann Ihnen erzählen, was mit der Seide geschah, die wir nicht zuletzt dank Ihrer Hilfe doch noch ergattert haben.«
»Das würde ich sehr gerne hören. Walker war die reinste Auster, wenn es um dieses Thema ging.«
»Walker ist eine Perle, auch wenn Shane dauernd an ihm rummeckert.«
Dani wollte nicht, daß man ihr ihre Reaktion auf diesen Namen anmerkte, vermochte sie aber nicht ganz zu unterdrücken. Es gab nur wenig, das Cassandras grünen Augen und ihrer raschen Auffassungsgabe entging.
Mit gewollt grimmigem Gesichtsausdruck ging Dani zur
Couch. Ringsum lagen überall Zeitungen verstreut, einige davon in fremder Schrift. Eine war eine englischsprachige Version eines Hongkonger Blattes. Dann gab es die New York Times sowie eine spanische oder portugiesische Gazette.
»Das sieht nach Informationsdefizit aus«, bemerkte Dani.
»Man findet die außergewöhnlichsten Informationen in den verschiedensten Zeitungen. Natürlich selten auf den Frontseiten.«
»Bei einigen dieser Journaillen könnte ich nicht sagen, was die Front- und was die Rückseite ist.«
Cassandra lachte leise, schenkte Dani Tee ein und reichte ihr die dampfende Tasse.
»Ohne Milch und Zucker, richtig?« fragte Cassandra.
Dani nickte. »Danke.«
Höflich schob Cassandra ihr die Kekse hin. Mit ebensolcher Höflichkeit suchte sich Dani den kleinsten heraus und tat, als würde sie daran knabbern.
»Erinnern Sie sich noch an Mr. Yukio Koyama?« fragte Cassandra.
Dani antwortete wie aus der Pistole geschossen. »Ich erinnere mich ... an alles.«
»Überrascht mich nicht. Adrenalin stärkt das Gedächtnis. Dient zum Überleben, habe ich mir sagen lassen.«
Mrs. Warren nickte ergeben und wünschte insgeheim, daß das Adrenalin ihre Affäre mit Shane nicht so schmerzvoll lebendig erhielte.
»Für Mr. Koyama scheint sich das Blatt gewendet zu haben. Zum Schlechteren«, ergänzte Cassandra.
Dani hörte auf so zu tun, als wäre sie an ihrem Keks interessiert, und richtete ihren lebhaften Blick statt dessen auf die andere.
»Wie das?« erkundigte sie sich.
Cassandra wühlte kurz in dem Blätterwald.
»Ah, da ist es ja«, murmelte sie.
Bildzeichen und Fotos prangten auf der Seite. Cassandra begann laut zu lesen, wobei sie den Text aus dem Stegreif übersetzte.
»Der ehrenwerte und geachtete Mr. Yukio Koyama genießt nicht mehr länger das Vertrauen seiner Aufsichtsräte und anderer wichtiger Mitglieder der Gesellschaft, für die er als ...« Cassandra hielt inne. »Teufel noch mal, dafür haben wir einfach kein Wort -, Kontaktmann, Vermittler, Graue Eminenz -, fungierte.«
»Was ist passiert?«
Cassandra lächelte wie ein Tiger.
»Akuter Gesichtsverlust«, gab sie Auskunft. »Man hört, daß auf einer seiner Dinnerparties ein äußerst peinlicher Vorfall passierte.«
»Ist die Sache ernst?«
»Geradezu tödlich. Eine herrliche alte Seide, die er kürzlich erworben hatte, stellte sich als moderne Fälschung heraus.«
»Kaum zu glauben«, erwiderte Dani glatt.
»Es kommt sogar noch schlimmer: Irgendein diabolisches Hirn hat ein Zeichen mit unsichtbarer Tinte auf die Seide gemalt. Die Tinte wurde erst, nachdem der Stoff eine gewisse Zeitlang dem Tageslicht ausgesetzt war, sichtbar.«
»Was stand drauf?«
»Nun, frei übersetzt soviel wie >April, April! Arschloch<.«
Zum
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