Seidenfpade
Schwellungen im Gesicht. Als er sich näherte, hinkte er leicht.
»Anstrengenden Urlaub gehabt?« erkundigte Dani sich mitfühlend.
»Hatte schon schlimmere!«
Cassandras Augen glitten aufmerksam über Gillespie hinweg. Sie übersah nicht den geringsten Kratzer.
»Setz dich«, sagte sie sanft. »Ich schenke dir eine Tasse Tee ein.«
»Keine Zeit! Prasam Dhamsa und sein Gefolge warten draußen im Foyer.«
»Du machst Witze«, rief Cassandra aus.
»Die Ungeduld hat ihn gepackt«, behauptete Gillespie. »Sobald Kasatonin mal aus dem Weg war, gab es für ihn kein Halten mehr.«
Die Tür hinter Gillespie ging erneut auf.
»Prasam Dhamsa hat keinen einzigen ungeduldigen Knochen im Leib«, widersprach Cassandra.
»Nein«, posaunte Shane von der Tür, »aber ich verdammt noch mal schon!«
Obwohl seine Worte Cassandra galten, schossen seine Augen auf der Stelle zu Dani hinüber.
Erschrocken fuhr sie von der Couch hoch, als sie seine Stimme vernahm.
Sie blickte Shane mit derselben Erwartung an, wie er sie. Sollte sie nun hoffen oder weinen? Auch er wirkte vollkommen erschöpft, und dennoch hatte er in ihren Augen nie wundervoller ausgesehen.
Prasam Dhamsa trat um Shane herum in die Bibliothek. Seine schwarzen Augen überflogen zustimmend den Raum und die Anwesenden. »Alles versammelt! Das gut.«
»Eure Heiligkeit«, sagte Cassandra und erhob sich rasch. »Was für eine unerwartete Ehre! Wir wollten uns gerade zu Ihnen nach Virginia auf den Weg machen.«
»Er rastlos«, meinte Dhamsa und wies mit einer wegwerfenden Handbewegung auf Shane.
Dhamsa rang nach Worten, darum formulierte er es auf tibetisch. Shane dolmetschte.
»Zuerst mußte der Rastlose herausfinden, wer die Seide von ihrem heiligen Platz gestohlen hat«, übersetzte Shane.
»Der Rastlose?« fragt Dani. »Oh, du!«
»Yep. Ich. Und wie. Hab mich an Pakits Fersen geheftet wie ein Mungo an eine Schlange.«
»Pakit«, sann Cassandra nach. »Dann stimmte also Gillies und meine Vermutung, daß ein Auzurmönch die Seide gestohlen hatte.«
»Wie kamen Sie darauf?« fragte Dani Gillespie.
»Shane hat die Wachen selbst ausgebildet«, erklärte Gillespie schlicht. »Ich hab schon mal mit Schülern von ihm gearbeitet. Kein Außenseiter wäre ohne Aufsehen an jenes Tabernakel rangekommen, daher mußte es ein Mönch gewesen sein. Ein Insiderjob!«
»Ich war nicht ganz glücklich über diese Theorie«, flocht Mr. Crowe ein.
Prasam stellte eine Frage. Shane antwortete in derselben Sprache. Der Heilige lächelte wie ein Buddha, sagte rasch etwas und schwieg dann.
Shane fand es weniger spaßig.
»Prasam erinnerte mich an ein buddhistisches Sprichwort«, teilte er den andern mit. »Wenn närrische Leute einen närrischen Führer haben, gehen alle zugrunde. Pakit dachte, sein Lama wäre ein solcher Narr und die Tibeter, die ihm folgten, wären demnach dem Untergang geweihte Dummköpfe.«
»Er hielt die Chinesen für die Zukunft des klugen Mannes?« fragte Dani.
»Das hat Pakit mir am Ende jedenfalls gestanden. Sein erstes und oberstes Ziel lautete, die Trottel von ihrer abergläubischen Vergangenheit zu erlösen.«
»Die heilige Seide«, murmelte Cassandra.
»Genau«, bestätigte Shane. »Pakit hatte die Seide für Kasatonin gestohlen, es sich dann aber anders überlegt. Er nahm an, daß Kasatonin ihm wahrscheinlich nach getaner Arbeit die Kehle aufschlitzen würde.«
Gillespie grunzte. »Der Junge war also nicht vollkommen verblödet, wie es scheint.«
»... aber auch nicht gerade der Hellste«, schränkte Shane ein. »Er hatte kalte Füße, bis rauf zu den Knien; aber die Seide hat er nicht zurückgebracht.«
»Wie ging es weiter?« fragte Cassandra.
»Er hat sie Feng gegeben«, berichtete Shane, »den dann auf Dani angesetzt und den Skandal abgewartet, der losbrechen würde, wenn die Welt erführe, daß man eine Amerikanerin beim Kauf einer gestohlenen Reliquie erwischte. Die chinesische Volksarmee wäre als Held dagestanden, weil sie ein kostbares Stück tibetischer Kultur gerettet hätte.«
»Welches prompt nach Peking zur Aufbewahrung geschickt worden wäre«, lautete Cassandras Kommentar.
»So sah der Plan aus«, meinte Shane. »Aber ganz so hat es nicht funktioniert. Pakit sammelt jetzt gefrorenen Yakdung und meditiert in einer eisigen Hütte, weil die fragliche Amerikanerin genug Mut und Intelligenz besaß, rechtzeitig eine helfende Hand zu ergreifen, die ihr angeboten wurde.«
Shane hielt Dani seine Rechte hin.
»Im Moment habe ich kein
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