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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gesagt habe…«
    Ihr Gesicht war plötzlich weiß wie Marmor. Sie schloß die Augen vor Schmerz. Kunio sagte, leise und kummervoll:
    »Ich dachte mir so etwas.«
    Wir tauschten einen Blick. Er hatte recht, alles paßte.
    »Es fällt mir schwer zu glauben, daß Lea, hartnäckig wie sie ist, bloß in Kobe und niemals in Nagasaki gesucht hätte. Der Gedanke war ihr einfach nicht gekommen.«
    Hanako kniete eine Weile ganz still; schließlich hob sie den Kopf. Ihre Stimme klang plötzlich müde und alt.
    »Ich müßte sehr unvernünftig sein, um zu glauben, es sei meine Schuld, aber es fällt mir auch schwer, diesen Gedanken ganz abzuweisen.«
    »Trink deinen Tee, Obaa-Chan«, sagte Kunio sanft. »Niemand hat Schuld. Nur die Umstände.«
    »So lange Zeit ist das jetzt her«, sagte ich.
    »Mehr als fünfzig Jahre«, seufzte sie. »Ach, wie das gut tut, der Tee.«
    »Und inzwischen sind Sie Künstlerin geworden.«
    Es war eine Feststellung, keine Frage. Ich wollte sie auf andere Gedanken bringen. Und irgendwie gelang es mir auch.
    Das sei später gekommen, erzählte sie. Zuerst sprach sie langsam, als fiele es ihr schwer, die Worte zu finden. Dann wurde sie lebhafter, ihre Wangen bekamen wieder Farbe. Ihre Begabung hatte sie erst entdeckt, als ihre Tochter Akemi in die Schule kam. In der Nachkriegszeit wurde Schönschreiben, das mit dem japanischen Nationalismus zu stark in Verbindung gebracht wurde, von den Amerikanern als Schulfach verboten.
    Hanako scherte sich nicht um das Verbot; sie unterrichtete ihre Tochter zu Hause. Die Ausführung japanischer Kalligraphie stellt die gleichen Anforderungen wie das Malen von Gemälden. Das Hirn muß ganz leer sein, entspannt. Jedes Zeichen auf dem Reispapier ist ein Weg; ein scheinbar zufälliger Pinselstrich kann alles bedeuten. Zweifel müssen bleiben, Räume für das Imaginäre. Jeder einzelne Strich erfordert unbedingte Sicherheit und Genauigkeit. Hanako bemerkte bald, daß es die beste Übung für sie war. Sie begann, mit intensiver Konzentration Tag für Tag den Pinsel zu führen, trainierte ihre Hand mit unermüdlicher Disziplin. Ihre Arbeiten fanden Beachtung, wurden ausgestellt und gekauft. Nach dem Tod ihres Mannes erteilte sie Privatunterricht und konnte ganz gut davon leben.
    Sie war überzeugt, daß es nichts Schöneres gab, als den Schriftzeichen Gestalt zu verleihen. Das Wort »Wolke« als Wolke darzustellen, das Wort »Baum« als Baum, das Wort
    »Wind« als Wind. Und für abstrakte Begriffe, da gab es keine Begrenzung mehr, weder Raum noch Fläche; da gab es nur die Vision.
    »Die Worte erfüllen ihren Zweck, sie werden lebendig. Ist das nicht wunderbar?«
    Ich lächelte ihr zu. Sie verharrte in einer Art Entrückung, betrachtete mich wie durch einen Schleier. Plötzlich war ich besorgt um sie. Ihr Gesicht schien schmaler und faltiger geworden. Welches Gleichgewicht in ihr zerrissen sein mochte, konnte ich nur ahnen. Eine Art Hellsicht war über sie gekommen.
    Sie widmete keine Sekunde der Wiederherstellung ihrer Kräfte, sprach von allem ohne Logik und Folge, so daß es manchmal wie ein Traumstoff klang, zusammenhanglos. Das machte auch Kunio angst; wir tauschten hilflose Blicke. Hanako sagte, daß sie und Lea wie zwei Schwestern gewesen wären. Daß sie nie aufgehört hätte, an Lea zu denken, auch nicht, als sie nach dem Atomblitz erwachte und um sie herum die Höllenfeuer tobten.
    »Ich will nicht sterben! Lea wird traurig sein.«
    Sie hatte die Worte gestammelt oder geschrien. Und dabei an ihr ungeborenes Kind gedacht. Und mit untrüglicher Sicherheit gewußt, daß es nicht lebensfähig war…
    Ihre Rettung verdankte sie einem Kampferbaum. Sie hatte eine Besorgung gemacht und fuhr mit dem Fahrrad nach Hause, als sie einen Straßenhändler sah, der Rettiche verkaufte. In Kriegszeiten war frisches Gemüse eine Seltenheit. Hanako hielt sofort an, lehnte ihr Fahrrad an einen Baum. Sie hatte Glück, daß sie noch ein paar Rettiche bekam, bevor der Korb leer war.
    Als sie die Lenkstange ergriff, um sich in den Sattel zu schwingen, fiel die Bombe. Es war der 9. August, drei Tage nach dem Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima. Nagasaki war die Stadt der japanischen Christen. Die Amerikaner hatten die Kathedrale von Uragami als Zielscheibe gewählt. Dort, wo das Gotteshaus stand, sollte die Hölle entfesselt werden.
    »Ich hörte nicht viel«, sagte Hanako, »nur ein rauschendes Brodeln. Mit einem Mal war der Himmel mit goldenen Pfauen-augen übersäht. Die Erde

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