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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Perlweiß und Grau, grobkörnig und undeutlich wie die Vergangenheit. Daneben waren mit Reisnä-
    geln Kalenderbilder befestigt. Der Eiffelturm. Das Weiße Haus.
    Das Taj Mahal. Grellbunte Farbkleckse, schon verblichen.
    Zeitschriften und Strickzeug lagen in einem Korb. Der kleine, geschlossene Altarschrein war in Schwarz und Gold gehalten.
    Er stand auf einem Spitzendeckchen auf einer Kommode. Die Kerzenleuchter glänzten, und eine schöne Vase war mit einem lockeren Strauß kleiner gelber Dahlien gefüllt. Ich nahm einen Geruch wahr, weder angenehm noch unangenehm, nach Weihrauch, Kampfer und vergilbten Zeitungen; einen Geruch nach Einsamkeit und Alter.
    »Setz dich ruhig hin, Großmutter«, sagte Kunio. »Ich mache Tee. «
    »Danke, Kunio-chan.«
    Die alte Dame gab ihm den Kosenamen, den die Kinder im Rahmen der Familie behalten, auch wenn sie längst erwachsen sind. Sie zog Sitzkissen unter dem Tisch hervor; wir setzten uns. Hanako lächelte mit zitternden Mundwinkeln, nahm meine Hände und streichelte sie. Ihr Atem ging schnell und keuchend.
    Ich erwiderte ihr Lächeln, immer am Rande der Tränen.
    Ich erzählte ihr, wie Lea von der Besucherin erfahren hatte, die eine Schwertlilie auf das Grab meiner Großmutter legte.
    Hanako nickte. Ja, sie sorgte mit einer angemessenen Summe dafür, daß das Grab gepflegt wurde. Nein, ihr Name wurde nicht registriert, die Spende blieb anonym. Und an Iris’ Todes-tag vollzog sie die »Erinnerungs-Besprengung«, indem sie, im Gedenken der Verstorbenen, mit einem kleinen Schöpfer etwas Wasser über den Grabstein goß.
    Sie versteckte ihre Hände beim Sprechen. Warum nur? dachte ich. Ihre Hände waren so zärtlich. Die verwachsenen Finger-glieder bemerkte nur, wer aufmerksam hinsah. Die Zuneigung für sie verwirrte mich. Gefühle gerieten aus der Kontrolle, Bilder tauchten vor meinen Augen auf und verschwanden wieder. Ich tastete mich von Empfindung zu Empfindung, sprach von Leas Nachforschungen. Hanako zeigte kein Erstaunen.
    »Ich habe auch nach ihr gesucht. Jahrelang.«
    Sie erinnerte sich an Leas Mädchennamen: von Steinhof.
    Nach dem Krieg hatte sie sich mit dem deutschen und polnischen Außenministerium in Verbindung gesetzt. Man schrieb ihr, daß die Unterlagen im Krieg vernichtet wurden; daß die Familie nicht mehr ausfindig gemacht werden konnte.
    »Ich gewann den Eindruck, daß die Beamten es laufen lie-
    ßen. Die Form wurde gewahrt oder der Anschein, gewissenhaft die Sache untersucht zu haben. Das war alles. Für sie war der Fall bedeutungslos.«
    Sie sprach ganz sachlich. »Siehst du«, sagte ich zu Kunio,
    »bei Lea war es vermutlich nicht anders.« Er brachte drei Schalen Tee, setzte sich zu uns, schwieg nachdenklich. Sein Blick wanderte abwechselnd von mir zu Hanako. Dann sagte er:
    »Wäre es denkbar, daß Lea am falschen Ort gesucht hat?
    Daß sie nicht darüber informiert war, daß unsere Familie aus Nagasaki stammte? Was sagst du dazu, Obaa-Chan?«
    Sie zuckte leicht zusammen, antwortete zuerst nichts. Wir warteten. Sie legte zwei Finger an die Lippen.
    »Am falschen Ort? Du meinst, in Kobe?«
    »Es ist nur eine Vermutung,« sagte Kunio. »Aber sie will mir nicht aus dem Kopf.«
    Sie rieb sich die Schläfen. Sie wirkte plötzlich sehr unruhig, fast konfus.
    »Ich… ich kann es nicht sagen. Nicht nur, daß Iris krank war… wir konnten uns ja kaum verständigen. Bis uns Mutter ihr deutschjapanisches Wörterbuch gab. Japanische Ärzte fassen ihre Sprechstundenkarteien in deutscher Sprache ab, wuß-
    test du das, Ruth?«
    Ich schüttelte den Kopf. Nein, woher auch?
    »Da machten wir schnelle Fortschritte«, sagte Hanako. »Wir erzählten uns alles mögliche und lachten dabei; nie zu laut, wegen der Nachbarn, aber oft bis zum Ersticken. Du weißt ja, wie Mädchen sind. Iris hatte nichts daran auszusetzen. Nein, niemals. Sie sagte, daß man fröhlich sein könnte, selbst im Krieg, daß man es sogar sein müßte. Daß es eine menschliche Pflicht sei, ein Akt des Widerstandes gegen das Böse. Lea und ich verstanden nicht, wie sie das meinte. Aber uns nur anzusehen brachte uns schon zum Lachen. Wir wußten nicht, warum.
    Wir waren ganz einfach glücklich. Ob ich ihr gesagt habe, daß wir aus Nagasaki kamen… «
    Sie stockte, ihr Blick flackerte verwirrt, auf der Suche nach Bildern von früher.
    »Vielleicht ist nur ein einziges Mal zwischen uns davon die Rede gewesen. Vielleicht hat sie es nicht richtig verstanden. Ja, es kann sogar sein, daß ich es ihr nicht

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